Freitag, 20. Mai 2011

Viele Grüße vom Bruchpilot




















Für einen ausführlichen Bericht vom schönen Norden, verrückten Menschen, der Finanzkrise Portugals und meiner persönlichen Tragödie gehts hier weiter.... die Kernessenz des Urlaubes ist sonst mit den drei Bildern abgehakt...

Sevilla - Santiago. Rucksack 6,8 Kilo - perfektes Wandergewicht. Die besagten Stiefel an den Füßen, Blasenpflaster im Gepäck und ein Haufen Lust auf Urlaub - so gings los. Der Plan: eine viertägige Wandertour in Galicien von Santiago de Compostela nach Finisterre (übersetzt "das Ende der Welt") ans Meer mit der Option auf Verlängerung. Aber wie das oft so ist mit dem Leben, läuft dann alles doch ganz anders. Und das ist ja auch das schöne daran....

Ausgeschlafen, topfit und wunderschön machten wir uns also am ersten Tag in Santiago auf den Weg... aber wo ist er eigentlich, der Weg? Da will man loswandern und muss erst mal den Weg zum Weg suchen. Das hat uns so circa 1 Stunde und jede Menge Nerven gekostet und gab den Selbstzweifeln nahrhaften Boden ob wir wohl wirklich die richtigen seien für eine Wandertour im spirituellen Zentrum der Pilger. Selbstzweifel stören aber sowohl im Alltag, als auch beim Genießen des Lebens - wir ließen sie also hinter uns und stapften fleißig voran. Ob es jetzt Gott war, der uns auf seinen Pfad geleitet hat, die bemühten Einwohner der bildschönen Pilgerstadt oder die Wanderkarte vermag ich leider nicht zu sagen.... Natürlich werde ich euch jetzt nicht ausführlich schildern, wieviele Blasen wir an den Füßen hatten, welche Höhenmeter es zu bezwingen galt, wer von uns zwei zuerst über den schweren Rucksack gejammert hat oder wie die Füße nach 25km Wandern in Spaniens Frühsommer riechen. Landschaftlich fällt es mir sehr leicht ein Fazit zu ziehen: es war wunderschön. Spaniens grüner Norden im Frühjahr. Sanfte Hügel, üppige Wälder, gelber Ginster, violetter Flieder, Dörfer wo sich Fuchs und Hase, Kühe und Bauer noch gute Nacht sagen und die Welt in Ordnung ist.



Hinten rechts ist Santiago... da sind wir losgelaufen.
Dorfidyll


Über sieben Brücken....




Was wär die Welt ohne Schafe?

7.30 Uhr. MORGENS. Und wir schon am Wandern...

Hoch den Berg....

... und vom Ausblick belohnen lassen...

Höher und höher...

Spanien oder Schweden?



Da kams auch schon das Meer... 

Katja und Alois
Übernachtet wird in Pilgerherbergen. Da gibts Betten, eine Küche, noch mehr stinkende Wanderschuhe und vorallem jede Menge verrückter Pilger. Da ist alles vorzufinden. "Ich ernähre mich makrobiotisch. Zum Frühstück gibts Algen mit Lotusblüten und ein wenig Reis. Aber ohne Gewürze, das ist ja bekanntlich Medizin." .... "Ich arbeite in einem Konzern im Ruhrpott. Also echt, man sollte eigentlich alle Menschen, die mal unter Tage waren in ein Loch stecken und das zumachen, die sind ja für nichts mehr zu gebrauchen...!" ... "Ach... du hast Blasen an den Füßen? Also ich kleb mir immer Damenbinden drunter, die gibts ja auch so in extragroß das funktioniert ganz gut." .... "Man darf sich von seinen Schmerzen nicht beeindrucken lassen. Man muss kämpfen. Kääääämpfen! Immer weiter und weiter!" Und dann die mitleidsvollen Blicke, wenn der Profipilger erfährt ("Ich bin jetzt den Jakobsweg schon gelaufen zum 3. Mal. Hin und zurück!!!") dass man nur eine Woche unterwegs ist und eben noch keine 830 Kilometer auf dem Buckel hat... da sollte uns mindestens mal die Lizenz entzogen werden in den Herbergen zu übernachten. Find ich auch. Dann gabs noch Alois aus Österreich, der sich den Weg morgens um 11.30 schön mal mit ein paar Schnäpsen versüßt hat (hätte ich auch gemacht, wenn ich schon 6 Wochen alleine rumgepilgert wäre). Damit lässt sich auch erklären, dass wir uns jeden Tag aufs neue vorgestellen mussten. Bernd, der Prototyp des Unsympathen, war immer der schnellste von allen. "Waaaas jetzt kommt ihr erst? Ich bin schon seit 4 Stunden hier und hab das Dorf angeschaut, eine siesta gemacht, eingekauft und 2 Bier getrunken!" Und dabei erwähnt Bernd bescheiden wie er ist natürlich ist NICHT, dass er sicherlich unterwegs auf dieser Etappe noch seine eigene kleine Pilgerkirche errichtet hat. Ich weiß gar nicht genau wie ich es zusammenfassen soll, aber ich sag mal so: die meisten von diesen Leuten haben meines Erachtens nach wirklich einen an der Waffel, nehmen sich selber und ihre 22km am Tag viel zu wichtig und glauben durch 3 Wochen marschieren und ein Leben in der Pilgerblase den Sinn des Lebens zu entdecken. Ich würde sogar soweit gehen zu sagen, dass mich diese Art von Pilger (insbesondere die Deutschen mit Topausrüstung) davon abhalten könnten eine größere Strecke des Jakobswegs zu laufen... Bevor ich wieder anfange mich aufzuregen, lieber noch ein paar Fotos vom Ziel. 

Kitty Kät und Lensche am Ziel

Der Prädestinierte Platz fürs Feierabendbierchen

Das Kap. Die Größenverhältnisse? Unvorstellbar. Willkommen in Irland.

Noch nieeeeeeemals hab ich so viel Wasser auf einem Haufen gesehen.



Hafen Finisterre

Ich muss natürlich dazusagen, dass es mir nicht vergönnt war die ganze Strecke zu laufen. Bereits in der Hälfte war mein Knie dicker als der Hintern und ich musste ein Taxi nehmen zum nächsten Krankenhaus. Antiono, der König des Taxis (wie er sich selber bezeichnet, aber das auch nur weil er der EINZIGE Taxifahrer in der ganzen Region ist) hat mir einen Freundschaftspreis gemacht. Anstatt 55 Euro musste ich nur 50 bezahlen. Ärgerlich, das Geld hätte besser investiert werden können, die Zeit auch. Im Krankenhaus kennt man das, "aha... ja da ist das Band überbelastet, 20 Tage Ruhe, Physio, Treppen meiden, typische Pilgerkrankheit." Der Pilger an sich sagt dazu jedoch, dass erstens gegen den Schmerz gekämpft werden muss (wie bereits erwähnt) und zweitens es eine Sache des Stolzes ist. Denn wer nicht vor jemand anderem in die Knie gehen kann, kann dies nicht aufgrund seines Stolzes. Und da mein Knie sich nicht mehr beugen lässt, ist das, weil ich zu stolz bin. Aha... wenn der junge Mann mit seiner Aussage erreichen wollte, dass ich darüber nachdenke, hat er es zumindest geschafft. Es gab also auch interessante Begegnungen, die sicher bleibende Erinnerungen nach sich ziehen. 
Was also tun mit dem angefangenen Urlaub und dem Knie, das am Ende ist? Das Leben regelts. Man trifft zwei Männer aus Hamburg. Ah, einen Mietwagen haben sie also... mhmhmh... und wo fahren sie dann hin? Achwas, nach Porto? Interessant... Da wird nicht lang gefackelt und am nächsten morgen um 9.30 gings mit Walter und Achim und dem Navigationssystem (landschaftlich schöne Strecke) richtung Porto. Nervlich eher aufreibend die Fahrt, umso entspannter Porto. Eine wunderschöne Stadt, viele Facts kann ich dazu leider nicht präsentieren, denn Reiseführermäßig war ich natürlich völlig unvorbereitet. Was ich aber sprechen lassen kann, sind die Bilder. 










Ich versuche zusammenzufassen. Porto: Sehr bunt. Sehr vielseitig. Da steht der Porsche neben dem eingeschlagenen und nie wieder repariertem Erdgeschossfenster. Irgendwie arm. Könnte auch irgendwo in einer Großstadt in Brasilien sein. Während in Spanien überall Werbung mit "Antikrisepreisen" gemacht wird, sieht man die Krise in Nord-Portugal wohl schon eher. Aber wie soll sich der Besitzer der Bar auch bei einem Kaffee, der 0,55cent kostet eine goldene Nase verdienen? Ja und depressiv wirken die Menschen irgendwie. Während hier in Sevilla alle immer im lauten 10-Mann Pulk rumrennen, sitzen in Porto die Männer während der Siesta einzeln auf den Parkbänken und starren irgendwie verloren vor sich hin. Zwar ohne Hektik bewegt sich die Stadt aber vielleicht auch mangels eines Plans. Die Fadomusik ist traurig, die Sonne und die romantischen Touricafés am Flussufer machen gute Miene zum bösen Spiel. Es hat mir unheimlich gut gefallen, aber auch irgendwie einen seltsamen Nachgeschmack hinterlassen. Und wenn ich mir schon vorstellen kann 10 Jahre in Spanien zu wohnen ohne wirklich zu verstehen, was hinter den Köpfen dieses verrückten Volkes geschieht, so glaube ich, dass es in Porto kaum möglich ist - die Menschen wirken schon sehr verschlossen. Was sie natürlich können, die Jungs, ist den leckeren Portwein machen (eine Tour durch die bekannteste Firma haben wir uns natürlich inklusive Verköstigung nicht nehmen lassen, leckerer Krempel, kann man trinken!) und backen. Backen. Also alles was mit süß und Kunst zu tun hat kann man dort essen bis zum Magenkrampf. Hier unten seht ihr mal eine von den Theken.. (hatte ich erwähnt, dass meine Diät als erfolglos beendet wurde?) Wir haben also lecker gegessen, gut getrunken uns von den bunten Farben Portos mit Reizüberflutung verwöhnen lassen und dann gings auch schon abzurück nach Santiago de Compostela um die Heimreise anzutreten. Ich kann mich natürlich nicht verabschieden ohne noch ein den letzten Rest an bunten Pixeln dranzuhängen, der mir verbleibt.... bienvenidos a Santiago de Compostela:




Na ja und damit das ganze hier auch schön abgerundet wird gibts natürlich das Bild von Santiagos berühmter Kathedrale wo ab mittags ca. 12 Uhr die Pilger am Ziel ihrer Reise eintreffen. Glücklich, euphorisch, hinkend, rennend, lachend, leer, zweifelnd. Von allem ist etwas dabei, gemeinsam haben sie, dass sie am Ziel sind. Und  oft hatte ich den Eindruck, dass sie gar nicht wussten, wies jetzt weitergehen soll. Wo man eben nicht am nächsten Tag die Aufgabe hat zu laufen. Als ich da so saß am abend der Katastrophe mit meinem dicken Knie, den Tränen nah (vor Schmerz, Wut oder Verzweiflung weiß ich nicht) und der spanische Pilger mir dann die Geschichte mit meinem Stolz erzählt hat und dass ich nicht traurig sein soll, weil alles im Leben einen Sinn hat, hab ich mich gefragt, welchen Sinn das jetzt wohl hatte. Dass ich körperlich schonwieder funktionsunfähig bin und dann auch noch im Urlaub. Ich weiß es nicht, wozu es jetzt gut war, aber ich weiß, dass das Leben auf jeden Fall immer einen anderen Plan in der Hinterhand hat (siehe Porto) und dass einem die schönsten Dinge passieren, wenn eben nicht alles nach Plan läuft. Die schönsten Dinge, die verrücktesten, die ärgerlichsten und traurigsten. Aber auf jeden Fall sind das die Geschichten, an die man sich noch lange erinnern wird und die das Leben so sehr bereichern. Und das tut der planmäßig abgefahrenen Regionalexpresszug richtung All-Inklusive Urlaub eben nicht. 

Bis Bald!




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