Montag, 29. November 2010

"Du musst endlich anfangen stolz auf Deutschland zu sein!"

Der Spanier trägt seine Flagge figurativ betrachtet als Unterhose, T-Shirt und benutzt sie als Bettwäsche. Neben seinem Hauptberuf "Spanier" ist er aber auch noch von ganzem Herzen - und damit an erster Stelle - erstmal damit beschäftigt, seinen Regionalstolz auf der Brust zu tragen. Man ist also vordergründig erstmal Sevillaner, gefolgt von Andaluz und an letzter Stelle Spanier. Bevor man sich dann als Europäer bezeichnen würde, hackt man sich lieber ein Bein ab oder schließt alternativ erstmal die Bruderschaft mit Portugal, Italien und Griechenland... "die Südländer". Belegen kann man das zum Beispiel mit den jüngst stattgefundenen Wahlen in Catalunien: Zapateros Partei verliert, die rechtskonservativen mit Unabhängigkeitstendenz gewinnen an Zuspruch. Ich frage mich also täglich: woran liegts, dass mir und wahrscheinlich vielen anderen Deutschen auch, dieser Nationalstolz, abgesehen von der WM 2006, ein fremdes Gefühl ist? 
Beantworten kann ich die Frage natürlich nicht und der Aufforderung der Überschrift, die meine Mitbewohnerin so formuliert hat, nachzukommen dauert sicher auch noch einige Zeit. Aber reflektieren will ich das Ganze mal und erzählen, was hier so meine Erfahrungen im Bezug auf Nationalitäten, Vorurteilen, Ansichten und Tatsachen belegen.
Bereits bei meiner Australienreise im Jahr 2007 (genauere Infos?) hab ich zum ersten Mal gemerkt, wie unwohl ich mich fühle auf die Frage "Und wo kommst du her?" mit "Deutschland" zu antworten. Wenn zu mir jemand sagt, er Amerikaner öffnet sich schließlich auch in meinem Kopf ganz unweigerlich die berühmte "Schublade" und ich kann mich von gewissen Vorurteilen (die sich tatsächlich auch häufig bestätigen) nicht losmachen. Ich frage mich also welche Assoziationskette es bei anderen auslöst, wenn ich sage: "Ich bin Deutsche." Da ich es nicht weiß, hab ich einfach hier mal viele Leute gefragt. An erster Stelle stehen immer Effizienz und Fleiß. Pünktlichkeit und hartes Arbeiten. Hitler, die Autobahn und das Oktoberfest. Bier. Fehlende Gestik, Mimik und Intonation führen zu steifem Auftreten. Die harte Sprache (ACHTUNG!), das schlechte Wetter, fehlender Hedonismus. Kein Wunder, dass wir schlecht drauf sind. Kein Wunder, dass ich mich kaum traue zu sagen, wo ich herkomme.
"Ok, aber gibts denn auch was Gutes?", bohre ich dann nach und füge hinzu: "außer dem Bier?" und dann stellt sich heraus, dass Effizienz und Fleiß, sowie hartes Arbeiten, zwar oft belächelt und als unattraktiv abgetan werden, aber am Ende zumindest beeindruckt. Deutschland ist das stärkste Land der EU und eines der wirtschaftlich stärksten Länder der Welt. "Wenn Deutschland die EU verlässt, bricht alles zusammen, wir brauchen das Land!" - Deutschland hat Griechenland aus der Patsche geholfen. "Ich möchte gerne Deutsch lernen, in dem Land gibt es noch eine Zukunft. Nicht wie hier" - gottseidank hat meine Lieblingsangie uns mit der Abwrackprämie aus der Wirtschaftskrise herausgeführt. "Ich liebe Berlin" - mit der Hauptstadt können wir glaube ich bei jeder Nationalität punkten. 
Meine Mitbewohnerin Aurori sagt: "Ich will niemals Andalusien verlassen, und schon gar nicht nach Deutschland. Da ist mir das Wetter zu schlecht. In Deutschland leben die Leute um zu arbeiten, in Spanien arbeiten sie um zu leben. Geh auf eine Fiesta und du wirst sehen, dass in Deutschland die Menschen sagen 'Ui, schon zwanzig vor 12, ich muss nach Hause - morgen ruft die Arbeit' und die Antwort des Spaniers: 'Joder! Ich muss morgen arbeiten, dann wird aber heute nochmal richtig gefeiert' - und das so um zwanzig nach 4 am Morgen." Auch wenn all das gerne belächelt wird, steht doch fest, dass unsere Nation zumindest in wirtschaftlicher Hinsicht hoch geschätzt wird, politische Ordnung wird als Vorbild betrachtet und alle wünschen sich unseren Lebensstandart. Natürlich ist klar, dass diese Qualitäten zwar geschätzt werden, aber ist es nicht cooler für Fiesta, gutes Essen, Sonne, Strand und Temperament bekannt zu sein? Ich weiß es nicht, aber fest steht, dass man wie überall im Leben bestimmte Vorraussetzungen hat, mit denen man den Rest seines Lebens verbingen muss und das geht besser in Frieden in Krieg. Eine Geschichte, die meine Freundin Dr. Minsel* (*von der Redaktion geändert) von ihrem Jahr im Rahmen des pädagogischen Austauschdienst in Frankreich erzählt hat, fasst das ganz gut zusammen: "Das ist auch einfach ein Einstellungsding. Wenn wir dann nach der Pause wieder zurück in die Klasse mussten, ist María [Spanierin] immer so in die Klasse 'yeah, Leute. Spanisch. Freut euch!' und ich immer so 'Ja, es tut mir ja auch leid, aber wir müssen jetzt deutsch lernen.' Ist ja klar, dass die Leute dann auch irgendwie mehr Bock auf Spanisch hatten!"
Mein Plan für die nächsten 2/3 meines Aufenthaltes hier sind also die Überschrift vielleicht ein bisschen umzusetzen. Ja, ich bin Deutsche und ja, ich kann auch pünktlich sein. Ja, ich bin effizient und renke mir keinen Arm beim Reden aus. Aber ich kann trotzdem bis morgens früh feiern und lachen bis mir die Tränen kommen und hab dann dabei noch einen Arm mehr und meinen Kram erledigt. Außerdem schmeckt unser Bier und Angie ist genauso hübsch wie.... ok. Das lassen wir vielleicht besser. (Angie genießt hier übrigens größere Popularität wie im eigenen Land um nicht zu sagen, das nimmt fast Volksheldähnliche Züge an.) Wir haben zwar keine Pizza und Pasta und schon gar keine Tapas, sind aber dafür in der Lage die Spezialitäten anderer Nationen zu genießen, weil uns der Essenspatriotismus nicht davon abhält. 
Und noch eine Sache zum Schluss: Die Deutschen sind immer so verschlossen heißt es und der Spanier hier gleich so mit "besito links rechts", der Franzose küsst sogar 3mal. Aber bei genauerem Betrachten fällt auf, und das habe ich auch schon von zwei Spaniern gehört, die in Deutschland waren um sich mal selber ein Bild von der Geschichte zu machen: Mag sein, dass wir deutschen am Anfang etwas reservierter sind, aber am Ende sind wir offen für z.B. neue Menschen und Kulturen in unseren (Freundes-)kreisen. Der Spanier ist oberflächlich betrachtet offen und herzlich "Wie schön dich kennenzulernen! (...)und bald kochen wir zusammen und machen fiesta und fahren in Urlaub!", aber am Ende befinden sich viele in ihren kleinen, eng geschlossenen Grüppchen, die Versprechen und Pläne sind leere Worthülsen und wer hier die konservativere der beiden Nationen ist, davon wollen wir gar nicht erst anfangen.

Mit all dem will ich nicht sagen, welche die "Bessere" der beiden Nationen ist, ich habe einfach nur mal verglichen. Genauso wie ich Teile der spanischen Mentalität bewunderswert finde und genießen kann, sie gerne nach Deutschland importieren würde, so bin ich doch endlich dabei zu lernen, dass es auch Vorteile hat, wenn die Busse tatsächlich, wie angekündigt um 12.33 und nicht eine Stunde später um 13.21 eintrudeln. (Grüße, DB) Leben kann ich glaube ich in beiden Ländern und da mein Lebensfokus im Moment eher auf Genießen als auf Effizienz liegt, bin ich gerade jetzt zur richtgen Zeit am richtgen Ort. Zur nächsten Verabredung bin ich trotzdem maximal nur 15Minuten zu spät. Und das ist auch gut so.

Grüße nach Deutschland und den Rest der Welt, 
Lena

6 Kommentare:

  1. Ein toper Artikel! Aber die Franzosen küssen auch nur 2x! Nummer 3 wird gespart - Wirtschaftskrise..
    Pünktliche, effiziente, arbeitsame Grüße aus Lyon!

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  2. Schöner Blog!

    Mit der Oberflächlichkeit sind die Deutschen vermutlich mal die Ausnahme von der Regel :)

    Liebe Grüße,
    Simon

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  3. Zur Beruhigung: Ich komme mit Zitat und Zitierweise klar :-).
    Schön geschrieben! Weiter so! :-)
    Sabine.

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  4. A Eva le gusta tu artículo!

    außerdem denke ich, dass sich die Nationalitäten auch immer mehr angleichen. Wenn man Spanier mit Deutschen vergleicht, dann vergleicht man in der Regel die Generation unserer Eltern und Großeltern. Denn meiner Meinung nach, sind die jungen Deutschen lange nicht mehr so kalt und effizient und pünktlich und starr... und im Sommer, wenn bei uns Wetter ist wie in Spanien, dann erst recht nicht.
    Und wir können tatsächlich stolz darauf sein, dass wir nicht oberflächlich sind. (In der Tendenz)!
    Muchos besos

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  5. Also hier hab ich schon von vielen gehört, dass die Deutschen, die sie bis jetzt getroffen hätten, wären alle so offen, nett und "warm"... also, vll ist es an uns, das Bild vom strengen, spießigen Volk zu ändern und die Vorurteile zumindest teilweise zurückzuweisen.
    Meine spanische Mitbewohnerin tut das ja auch, sie ist nämlich pünktlich :)
    Elisa

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  6. Dominik, schönen Dank. Ja wie ist das in Frankreich? Ich werd hier von den Französinnen immer dreimal geküsst... was ist denn da los? Hat die Krise nur manche Teile des Landes erschüttert oder wetteiefern die bei der Küsserei mit den Spaniern?

    Eva und Elisa.. ich glaub das ist das Ding ja. Gut dass wir gerade alle dran am arbeiten sind... :)

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