Montag, 18. April 2011

Sevillanische Melodien und emsige Schlagbohrer

Soviel habe ich euch schon über Essen, Orangenduft, Hitze und atemberaubende Landschaften erzählt und auf diesem Wege versucht virtuell eure Sinne zu stimulieren. Geschmack, Geruch, Gefühl, Sehvermögen. Und urplötzlich fällt es mir wie Oropax von den Ohren! Nie habe ich mit euch geteilt, wonach sich das sevillanische Leben anhört! Zu verdanken habe ich diesen Geistesblitz - oder um in der Welt des Gehörs zu bleiben Geistesdonner - einer Nachricht meines Amigos Ändi Z., den ich an dieser Stelle gerne zitieren möchte:  "An unserem Haus wird gerade gebaut. Manchmal, wenn ich um halb 8 morgens vom lieblichen Geschnatter des emsigen Schlagbohrers geweckt werde, stelle ich mir vor, ich sei auch in Sevilla. Die kurze Illiusion, es könnten einfach südspanische Nachbarn sein, die sich da am Frühstückstisch unterhalten, lässt das ganze weniger bedrohlich erscheinen." (Z., Ä., Trier, 2010) Wunderschöner Vergleich, da kniet man als bemühter Blogschreiber ja vor nieder, aber klingt das Leben hier wirklich wie ein emsiger Schlagbohrer (ganz abgesehen davon, dass hier morgens um halb 8 noch gar nichts klingt, außer vielleicht ein übereifriger Wecker oder das ambitionierte Schnarchen des dicken, noch besoffenen Nachbarn) oder ist es der passionierte Flamenco, der die Geräuschkulisse der Stadt prägt? Ich wills euch erzählen... und bevor ihr anfangt zu lesen, ladet doch bitte mal diesen Link um zusätzlcih zum Lesen auditiv erfahren, wie sich der sevillanische Frühling anfühlt....
Wie beschreibt man also die Geräusche einer Stadt? Nach geographischen Gesichtspunketen?
Nach Vierteln: Im Norden wird scharf geschossen, im Süden brettern die LKW auf der Autobahn vorbei. Im Osten versucht man mit jedermenge kreischender Maschinerie verzweifelt weiter das U-Bahn Netz auszubauen, das Urviertel Triana im Westen wird vom fröhlichen Flamencogeklatsche beschallt. Und im Zentrum? Ja, im Zentrum wird nicht scharf geschossen, sondern scharf gesoffen - das führt dann auch iregndwann zu einem Gewissen Geräuschpegel. Nee, reicht mir nicht. 
Nach Jahreszeiten: Im Winter ist wohl die stillste Jahreszeit, alle kurieren zu Hause auf dem Sofa ihre Winterdepression und das einzige, was als leichtes Geflüster durch die Gässchen schallt ist "Aaaay, que frio!!! Meine Güte ist das kalt!" oder das Wimmern des Ursevillaners, dass es wirklich noch nieeeeeee so viel geregnet hat wie dieses Jahr! Im Frühling gehts dann raus auf die Piste, es wird getanzt und getrunken, geflirtet (guapaaaaa!) und geküsst, das Auto wird zumindest manchmal zu gunsten vom Fahrrad stehen gelassen, wir ersetzen also das Laute Hupen durch liebvolles Gekreische "Blöder Vollidiot, das hier ist der Fahrradweg!!" und die Vögelchen in den blühenden Oragenbäumen geben dem Idyll den letzten Schliff. Dann kommt der Sommer, der Sevillaner flieht aus der Stadt, denn Temperaturen über 40 Grad im Schatten machen nicht mal mehr den Wetterpatrioten Freude, was bleibt sind die Touris. Die Straßen verwandeln sich in internationales Parkett und der Brotkauf eines Franzosen kann sich vor einem in der Bäckerei schonmal zum Turmbau von Babel verwandeln (une baguette! - qué?? - une baguette!!! -- quéééé?). Die Straßen sind wie ausgestorben. - zu heiß um sich zu bewegen, wir bleiben im klimatisieren Wohnzimmer. Im Herbst kommen dann die Lebensgeister zurück, man lässt nochmal alles raus, bevor man sich wieder nur über den vielen Regen beschweren kann. Zusätzlich hin und wieder das klatschende Zerschellen einer runterfallenden Orange oder das fröhliche Platschen eines Vogel-AAs - es hat sich ausgesungen: auch die Tierwelt wendet sich wieder den wirklich existentiellen Dingen zu. Und dann kommt auch schon wieder der Winter.... 
Ok. Gefällt mir immer nocht nicht. Nach Tageszeiten vielleicht? Schon eher. Vielleicht am Beispiel meines Tagesablaufs? Aha. Neuer Versuch. 
Am Morgen: Sagen wir doch mal es sei ein ganz gewöhnlicher Mittwoch morgen. Mist, da muss ich zur Uni. Früh aufstehen angesagt, so um neun (haha.) In meiner WG noch alles still, draußen noch alles still. Außer mein Nachbar obendrüber, der hatte schon 3x fleißig Stuhlgang heute morgen. Achja und seit zwei Wochen sind Arbeiter im Haus. Carlos und Pedro. Pünktlich ab 8 fangen sie nämlich genau vor meinem Fenster an sich in übelstem Unterschichtenspansich über die heiße Schnitte von neulich zu unterhalten. Die, die sich jetzt die Rollschuhe gekauft hat. (Nä, ehrlich???) Das ganze erfolgt jedoch nicht, während man nebeneinander die Wand streicht (das wäre zu einfach), sondern während der eine unten im Innenhof steht und der andere im dritten Stock (eben vor meinem Fenster) am Pinseln ist. Da muss man schon das Stimmorgan etwas bemühen. Der Innenhof gibt natürlich durch den Schall eine hervorragende Kulisse und zack haben nicht nur die beiden etwas von der rollschuhfahrenden Sexbombe, sondern auch ich, meine Mitbewohnerinnen, meine Nachbarn und der ganze Häuserblock. Schönen Dank. Die Konversation fängt übrigens meist so an - und ist damit mein neues Weck-geräusch: 

Pedro: Carlossss!
Carlos: Qué? (Was?)
Pedro: Carloooosssss!
Carlos: Pedro!
Pedro: Carlos?!
Carlos: EEeeeehhh? 
...

Einst Pedro unten an der Tür passiert (ja, ich sehe heute wieder atemberaubend aus, vielen Dank!) und vor weiteren Geschichten der heißen Schnitte geflüchtet, gehts ab auf die Straße! Hier unterhalten sich die Barbesitzer nicht nur über das Klappern des Geschirrs, sondern auch quer über die Straße hinweg. Man brüllt sich also fröhlich BUENOS DÌAS zu und nebenbei die Bestellung von zwei Toasts in die Küche - wozu hier die Stimmlage anpassen, je lauter man die Anweisung gibt, umso besser verstehen die Leute gilt hier als Leitmotiv! Unterwegs zur Uni. Es gibt zwei Möglichkeiten: Normalerweise nehme ich das Rad und lasse mich lautstark und passioniert beschimpfen (zu schnelles Fahren, rücksichtsloses Verhalten am Fußgängerüberweg, der alle 7m den Fahrradweg kreuzt oder grundlos einfach so, weils so schön ist!) oder den ich steige in den Bus. Den Bus kennt ihr ja, z.B. aus Trier. Man steigt morgens ein. Totenstille. Ab und an Zeitungsknistern. Leises Schnarchen. Oder ein verlorenes Handykind, das uns alle schon um 8.30 mit 50cent erfreut. Eigentlich Ruhe. Hier ist das etwas anders. Der Bus hält an, die Türen öffnen sich, es platzen nicht nur die aussteigenden Fahrgäste heraus, sondern auch ein ohrenbetäubender Lärm. "HattestduschonkaffeichnochnichtfrühstückegleichmitmeinenArbeitskollegen..." gemischt mit "achgottwasistdasheutemorgenschonwiederheiß" und "liebegütewardasnefeiergesternabendundhastdugesehenwasdiebrautjungferanhattesuuuuuuuuuuperschön!" Der Busfahrer brüllt fröhlich jedem einsteigenden Fahrgast, der kein Dauerticket hat "1,30EURO!!!!" ins Gesicht, der Radiomoderator versucht sich auf maximaler Lautstärke gegen all das durchzusetzen, die Klimaanlage ist leicht kaputt und dröhnt und hinter einem hupt der nächste Bus, weil die Nummer 12 schon seit gefühlten zwei Stunden die Haltestelle blockiert. Hilfe. Nichts wie raus! 
In der Uni: Wahnsinnsstille. Superdiszipliniert die Jungs und Mädels. Schnell geschehen. 
In der Bib: Die Trierer Bibliothekare würden nach 2 Stunden einen Nervenzusammenbruch erleiden. Alle 5 Minuten klingelt ein Handy, manchmal wird mehrere Minuten in gespielt beschämten, aber nicht minderlautem Tonfall erläutert man könne jetzt wirklich nicht reden, weil man in der Bib sei. Es gibt keinen Teppich und die Stühle sind nicht befilzt - ob mein Tinitus von dem schrill quietschenden Hin- und Herschieben der Stühle kommt?
Am Mittag: Raus aus der Uni, ab ins 100 Montaditos (übersetzt: 100 kleine Brötchen) Hier ist nämlich Mittwochs immer 1 Euro Tag. Man prügelt sich also durch die Menschenmenge und brüllt wenige Stunden  und einige Platzwunden später dem Barman seine Bestellung ins Gesicht. "MIT KÄSE!!!!" Versteht er nicht. KÄÄÄÄÄÄÄSE! Nö, immer noch nicht. Ist der jetzt taub oder was? Ne, falsch gedacht. Liegt nicht an dem Mann. Liegt an mir. Mein zartes deutsches Stimmchen ist das einfach nicht gewöhnt. Da muss schon ein Sevillaner dran. KÄSE, ALTER!  
Aha. Geklappt. Die Bestellung wird dann in die Küche durchgegeben und wenn das Festmahl zubereitet ist, wird man ausgerufen. "Lena, por favor! Lena, bitte!". Über ein Megafon. Man stelle sich das vor: das Stimmorgan eines Sevillaners, der in ein Megafon brüllt, wohlwissend, dass er das laute geschnatter ca 200 hungrier Studenten übertönen muss. Das ist... ich sag mal...also. Schon... recht unüberhörbar...
Am Abend: Muss ich noch schnell was einkaufen, es muss gut gegessen werden, das wird ne lange Nacht. Ich stürme also aus dem Supermarkt raus, in dem die Musik lautergestellt ist, als in manchen Diskotheken in Trier und nur bei viel Betrieb etwas runtergefahren wird, damit die Frau an der Kasse das Piepen des Scanners hören kann. Zu Hause angekommen ist es am schönsten wenn alle Mädels zu Hause sind. Sandra singt: "Soy loca con mit tigre, localocaloca....", Aurori schaltet immer den Fernseher ein und Ester telefoniert zu all dem mit ihrer Mama. Im Optimalfall läuft noch die Waschmschine und das Radio im Bad. Der ganz normale Alltagswahnsinn also. Da macht es mir nichts mehr aus, dass das laute Brutzeln meiner Aubergine in der Pfanne dazukommt. Ich pfeife fröhlich mit.
In der Nacht: Die Bars sind voller Menschen, die Straßen sind voller Menschen. Die Plätze sind voller Menschen. Die Menschen sind voll. Es ist eine Geräuschkulisse, die der Atmosphäre ähnelt bevor ein Konzert losgeht. Ausgelassen und irgendwie gespannt, nur dass das Konzert nie beginnt. Der ganze Abend IST ein Konzert. Ich wünschte, ich könnte dieses Stimmengewirr einmal für euch aufnehmen. Gelächter, Geklirre, Geschnatter, Geklatsche und Flamencomusik. Zuschauen, Genießen, Mitschnattern - egal. Hauptsache mittendrin und staunen und diese unfassbare Energie aufsaugen.
Im Morgengrauen: Um 2.30 kommt jede Nacht die Müllabfuhr, ab 3.00 fangen die Jungs von der Straßenreinigung an die Straßen mit einem Hochdruckreiniger abzuspritzen. Das ist nicht nur nass, sondern auch wahnsinnig laut und dauert dann so bis um 5... bis die ersten Feierleute aus der Disko auf die Straße fallen und lauthals gröhlend den Heimweh antreten. Ab 6 kehrt dann wohl etwas Ruhe ein. So bis um 7.30 wenn mein Nachbar dann wieder anfängt aufs Klo zu gehen. 

Ich fasse zusammen. Ändy* hat recht. Die Leute hier unterhalten sich in der Lautstärke eines "emsigen Schlagbohrers". Zu jeder Tageszeit. Anstatt Störquellen wie Fernseh, Radio etc. auszustellen, brüllt man einfach lauter oder verschafft sich durch eine kurze Flamencoklatscheinlage Gehör. Aber. Anfangs geschockt und auch heute noch manchmal davon angestrengt und ermüdet muss ich doch sagen, dass ich es liebe. Es lebt hier einfach. Ohne Morgenmuffeligkeit oder Afterworkdepressionsstimmung. Es ist einfach immer "was los". Klar, war ich froh, als ich mit meiner Mutter mal auf dem Land war und das einzige Geräusch, was ich hören konnte, das zaghafte mähen eines Schafs war. Aberes ist auch die Geräuschkulisse, die Sevilla  mit ausmacht. Lebendigkeit (ob morgens, mittags oder abends), Leidenschaft (ob beim Diskutieren über Plastiktüten, Beschimpfen von anderen Autofahrern oder Flamencogeklatsche) und Präsenz... wer am lautesten ist, hat gewonnen. Kann anstrengend sein, aber irgendwie find ichs ja auch süß. Die Sevillaner. So als Beobachter, wenn sie sich da über die Straßen hinweg oder von Handy zu Handy mit 250Dezibel was zubrüllen, obwohl die Hälfte der Lautstärke auch gereicht hätte. Man soll sie halt wahrnehmen die Jungs und Mädels mit all dem, was sie ausmacht bei einer Körpergröße von durschnittlich 1,50m. Und ich muss sagen, dass sich mein Stimmvolumen sicher auch schon um mehr als das doppelte Vergrößert hat. Nur keine falsche Schüchternheit vorweisen!

Vielen Dank Mr. Z. für die Inspiration - ich hoffe ich konnte euch Sevillas Sound etwas näher bringen.
Im nächsten Blogbeitrag gibts mal wieder in paar Bilder. 
Bis dahin frohes Stillschweigen!
Lena

2 Kommentare:

  1. Da krieg ich doch heute so einen dödeligen wissen.de - Newsletter, der sich einfach nicht abbestellen lässt mit dem Betreff: "Lärm - warum er uns krank macht." Fühl mich aber noch ganz gut!

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  2. Ei der Daus, ging dieser Post glatt am mir vorbei!

    Nun eben verspätet: Danke für die Blumen.


    grüße

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