Montag, 8. August 2011

Einführung in die kulturelle Vielfalt Chiles: Kapitel 2, Kulinarisches

Die Kultur eines Landes erkennt man nicht nur am schon behandelten ÖPNV, sondern auch an anderen Dingen. Nehmen wir als Beispiel das Procedere an der Supermarktkasse. Sind die auf zack die Jungs? Wie ist es mit der Freundlichkeit bestellt? Wird fröhlich Mandarine um Mandarine in einzelne Plastikbeutel verpackt? Wieviel verschiedene Sorten Schokoriegel liegen an der Kasse herum? Hat der Sicherheitsmann, sofern vorhanden, nur einen furchteinflösenden Blick oder sogar einen unwesentlich weniger beeindruckenden Schlagstock? Oder schauen wir uns mal die Inneneinrichtung der Wohnraums an: Staubkörner, sofern vorhanden, in einer Reihe oder die ganze Wohnung nur ein Staubdreckhaufen? Liebevoll zusammengestellte Dekoration oder wahllose Anhäufung von Plunder? Glastisch mit Zierdeckchen drauf oder mit Büchern abgestützte Esshilfe aus Spanplatte? Hier werden ganz klar Prioritäten gesetzt. Aber wo sich die Kultur eines Landes doch immernoch am meisten widerspiegelt ist doch ganz klar das Essen! Kommt also mit mir auf eine aufregende, leckere, schockierende und appetitanregende Reise in die kulinarische Welt Chiles! 
Was wusste ich denn bevor ich nach Chile gekommen bin über die Küche? Hm, eigentlich nicht so viel. Zu Mexiko fällt einem ja der berühmte Fajita oder Enchilada ein, Argentinien protzt mit den bekannten Rumpsteaks und insgesamt hört man viel von Mais, Bohnen und Reis. Während ich dann in Spanien war und Chilenen kennenlernte oder mich mit Leuten unterhielt, die das Land schon einmal bereist, erlebt und probiert hatten hörte ich eigentlich nur ein Wort. FLEISCH.  "Juhu", dachte ich. Das ist ja genau das richtige für mich. Aber es gehört eben auch dazu, wenn man eine fremde Kultur kennenlernt, einige Prinzipien, Ängste und andere Kleinlichkeiten über Bord zu schleudern und sich auf die Dinge einzulassen, die da auf einen warten. Sonst kann man ja auch zu Hause bleiben. Also, was hat mich da also erwartet?
Zu erst gings mal harmlos los. Das erste landestypische Gericht mit dem ich in Kontakt kam ist die fast international bekannte Empanada, eine gefüllte Teigpastete, die Wahlweise im Ofen gebacken oder in Fett fritiert wird. Rein kommt, alles was man für nötig hält: Tomaten, Käse, Oliven, Fleischwurst, Schinken, Meeresfrüchte, Pilze, Kräuter - nicht alles auf einmal, aber vegetarisch kann man schonmal vergessen. Die Empanada eignet sich hervorragend als kalorienreicher und geschmacklich pizzaähnlicher Hochgenusssnack für Zwischendurch, hat großes Suchtpotential und wird an jeder Ecke verkauft. Und wenn ich sage: "an jeder Ecke", dann MEINE ich auch "an jeder Ecke". Das ist, als würde ich in mein Zimmerfenster in Trier ein handbeschriftetes Schild aus Karton hängen, was sagt: "EMPANADAS! 1Euro" und mein Nachbar hat das auch und der Nachbar vom Nachbarn... Fazit Empanada: Leckerlecker, auch nachts im Suff immer gut zu gebrauchen, wärmt von innen in kalten chilenischen Winternächten. 
In Temuco angekommen, gings dann ans Eingemachte. Ich wohne hier mit einer Chilenin zusammen, die nicht nur kulturell einen wahnsinnigen Wissensschatz an mich weitergibt, sondern auch für ihre 6köpfige Familie kocht, seit sie 13 ist. Also seit 15 Jahren. Und ich bin diejenige, die das Glück hat beides genießen zu dürfen. Wenn man jetzt zu Hause kocht, muss man natürlich erstmal einkaufen. Das geht am besten auf einem Markt. Da sind die Sachen frisch, nicht genmanipuliert (hier steht auf allen Tomaten JETZT LÄNGER HALTBAR drauf) und schmecken großartig. Für den gelungenen Einkauf, braucht man starke Nerven, gutes Verhandlungsgeschick und einen Bus, der einen mit dem gekauften 10Kilo Kartoffelsack nach Hause fährt. Schaut mal selbst, wie das dann in live aussieht - es ist mein absoluter Lieblingsplatz in Temuco. 

Diese Mapuchefrauen verkaufen alles mögliche, selbst hergestellte. Vom Maisgericht über die in der Asche gebackenen Tortillafladen, hin zu Dingen, von denen ich nicht mal weiß, was es ist. Eine Menge arbeit, ein weiter Weg mit all den Tüten zum Markt, schwarze Zahlen am Ende des Tages möchte man Ihnen gönnen. Außerdem ist der Tortilla so lecker!

Warum sich das Bild nicht drehen lässt, weiß ich nicht, das ist jetzt wohl der neuste Gag. Hier seht ihr aber nochmal die Frauen bei der Arbeit. Ich wünsche ich hätte die Aufnahmen von Näher machen können, aber ich traue mich nicht recht. Viele Ausländer gibt es hier nicht und ich komme wie der blöde Durchschnittstouri vor, der respektlos und verständnislos ein besonderes Tier im Käfig knipst. Die entsprechenden Blicke konnte ich während meiner Fototour übrigens auch ernten.

Einmal um 90Grad nach links drehen, bitte. Ich weiß nicht, WAS der Mann verkauft, aber ich hoffe es ist kein Fleisch. Ich habe ihn gefragt, aber leider nur spanisch verstanden.

Hier kann man dann seine Meeresfrüchte kaufen. Ganze Fische, halbe Fische, Fischköpfe, für mich unerkenntliches, rotes Glibberzeug (Der Chilene sagt: "Das gibt den würzigen Geschmack!"), Muscheln soviel der Bauch vertragen kann. 1 Kilo, bitte. Dann macht man zu Hause den Test. Die Muscheln in einen großen Topf mit Wasser legen, die die schwimmt, ist schon seit einiger Zeit verstorben, die isst man besser nicht mehr. Der Rest kann im Wasserbad langsam erhitzt werden, bis es knack macht. Dann ist sie tot die Muschel, der Chilene freut sich, bohrt sie grob auf und mit etwas Zitrone ist es ein wahrer Gaumengenuss. "Das ist nicht brutal,", sagt Natalia, meine Mitbewohnerin. "Das ist Kultur."

Gewürze, Gewürze, Gewürze. Spannend ist, nicht mal die Namen zu den Farben zu kennen und dann zu gucken, was beim Kochen rauskommt. Wie langweilig ist eigentlich Oregano?

Es ist Winter. Da isst man Kohl. Der Mitbewohner oder Sitznachbar im Bus freut sich.

Basis der chilenischen Ernährung. Hülsenfrüchte. Linsen, Erbsen und allerlei andere Hülsenfrüchte eben, deren Namen ich noch nicht weiß. So bunt wie ein Farbmalkasten, Eiweißhaltig und sooo gesund! Außerdem gefallen mir die großen Säcke und die kleinen Schäufelchen. Da koch ich gleich viel lieber Linsensuppe als in Deutschland.

Das ist ein Gang von einer Halle. Insgesamt gibt es vier Hallen, die aus jeweils 4 Gängen bestehen. Kurzum: es ist riesig.


Gut, jetze haben wir also eingekauft. Curanto soll es geben, sagt Natalia. Das Gericht kommt ursprünglich noch weiter aus dem Süden, der kleinen Insel Chiloé und wird normalerweise auf heißen Steinen zubereitet. Fehlt der heiße Stein in der Studentenwohnung darfs auch der Kochtopf sein. Was kommt rein? Alles was tierisch ist. Ein Sack voll Muscheln, gekochte Rippen (wenn ich mich nicht täusche), ein Teil vom Schwein (ich will gar nicht wissen, was es war, nachdem auf den Theken die ganzen Schweineköpfe rumgelegen haben) und noch ein bisschen Hühnchen obendrauf. Das ganze wird in Weißwein gekocht, damit der Gemüseliebhaber nicht zu kurz kommt, haut man noch ein paar Kartoffeln drauf und anstatt einen Deckel zu verwenden, wird das ganze mit Kohl abgedeckt. Fertig das chilenische Sonntagsgericht. Mein Fazit: brutales Essverhalten von Nöten (also lieber nicht im Restaurant bestellen), reichhaltig, gewöhnungsbedürftig, irgendwie schmeckts traditionell, lecker. 

Die armen Mupfeln.

Ja schaut mal ruhig genauer hin! Wer mir alle Zutaten nennen kann, der kriegt von mir ein Curanto gemacht, wenn ich wieder in Deutschland bin!

Obendrauf noch ein paar Papas, so sagt man hier zu Kartoffeln. Und das männliche Familienoberhaupt, der Vater also, ist ... der Papa. Da muss man schon immer auf der Hut sein wenns um Kontexterkennung geht!

Mit Kohl abdecken und so 60 Minuten kochen lassen. Der Wein verdampft, die Zwiebeln entfalten ihr Aroma und ich sag mal den Geruch von einer Knolle (!) Knoblauch kann man auch nicht gerade verachten. Da kann man schonmal Hunger bekommen.
Es ist nicht so, als würde es mir leicht fallen, mich an die doch sehr flreischlastige Küche zu gewöhnen, aber es macht Spaß. Meistens zumindest. Das Problem an der Sache ist, dass einem auch gar nicht viel anderes übrig bleibt, als zu Essen, "was auf den Tisch kommt". Eine Einladung zum Essen abzulehnen, Reste überzulassen oder zu sagen "ich mag aber kein Kartoffelstampfmuß" ist fehlender Respekt, als äußerst unverschämt bewertet und von daher einfach nicht drin. Gerade in dem Kontext in dem ich mich zur Zeit bewege, ist es wichtig solche Normen zu kennen. Ich arbeite in einer Nichregierungsorganisation, die auf den Prinzipien des Fairen Handels Kunst- und Weberhandwerk von Mapuchefrauen verkauft (also den Ureinwohnern Chiles). Das bedeutet, dass ich mich, als ich mich für diese Arbeit entschieden habe für den kulturellen Hintergrund dieses Volkes interessiert habe und nun auch ihre Regeln und Lebensweise zu respektieren und zu achten habe. Dies gilt aber nicht nur für die Ureinwohner Chiles, sondern auch für den Chilenen an sich. Von Natalia weiß ich, dass viele Chilenen, trotzdem immer auf dicke Hose gemacht wird unter einer Art volkseigenem Minderwertigkeitskomplex leidet. Das kommt zum einen daher, weil immer der große Bruder Argentinien bei allen Wettkämpfen gewinnt (egal obs um Fußball, die Schönheit der Frauen, die besseren Rumpsteaks oder die multikulturellere Hauptstadt geht) und zum anderen daher, dass von hier aus immer gen Norden geguckt wird. Was hat der Amerikaner? Was macht der Europäer? Wie kann man das Nachahmen, was da geschieht? Mein Land kommt nicht in die Pötte, während der Rest der Welt sich Flatscreens kauft. Überlegt man sich also, dass der Durchschnittschilene diese Einstellung schon morgens beim Aufstehen hat, mittags die weißte Zentraleuropäerin zum Essen kommt und angewiedert auf den fleischigen Teller starrt, macht das Sinn, dass das beim Südamerikaner keinen guten Eindruck hinterlässt. Wir fassen zusammen. Iss, was auf den Tisch kommt, respektiere die kulinarische Kultur des Landes in dem du dich befindest und je schneller du dich daran gewöhnst umso mehr Spaß hast du daran. "Ich mag heute mal kein Fleisch essen", zieht nicht. Gilt als hochnäsig und unangebrach - es ist ein Luxus, den man zu schätzen wissen sollte. Also viel Fleisch, viel Fett und die Mapuchefrauen beim Kochen. Schaut mal selbst. 

Tomate als Grundnahrungsmittel

Wer von den Männern in Deutschland wird da NICHT neidisch? Und das ist nur das SCHWEINEfleisch, was es gab. Drinnen wurde das Huhn gekocht und die fetthaltigen Würstchen gegrillt. Das traditionelle Neujahrsessen der Mapuche (quasi Sommersonnenwende) wird mir Reis und verschiedenen Salaten serviert.

Kartoffelsalat, Möhrensalat, Katoffelmöhrensalat, Kohlsalat - wenn immer möglich mit viel Maaaayo!
Wir lernen also über die kulinarische Kultur: fett- und fleischhaltig. Deftig. Die Mahlzeiten werden zusammen zubereichtet und zusammen eingenommen. Darüberhinaus: Essen als wichtiger Bestandteil des chilenischen Alltagslebens. Anstatt das Geld in teure Möbel oder Kleidung zu invenstieren, wird das Wenige, was der Mehrheit der Chilenen an ökonomischen Mitteln zur Verfügung steht, in Lebensmittel investiert. Eines der Grundbedürfnisse. Und damit kann ich meinen Beitrag auch abschließen, denn auf vielen Umwegen bin ich zu dem gekommen, was ich sagen wollte. In dem ich euch sage, wie sehr sich hier alles ums Essen dreht (die Frau hat das Essen zuzubereiten, es gibt vier Mahlzeiten am Tag, von denen man keine auslassen sollte, Essen und Teilen als Zeichen von Respekt und Anerkennung....) möchte ich auch zeigen, wie sehr es sich hier noch um das Wesentliche dreht. Klar gibts auch schon die reiche Upperclass, wo sich das alles verändert hat. Aber Chile ist eben nicht das Land Südamerikas, dass schon den Weg aus der Armut herausgeschafft hat. Es sind einige große Fische und eine größere (obere) Mittelklasse, der es gut geht. Aber es gibt auch einen verdammt großen Teil der Gesellschaft, besonders in der Region wo ich gerade lebe und weiter südlich, wo es eben nicht so ist. Und hier spielt eben noch das Essen die Wichtigste Rolle des Tag, weil es auch eben einfach das Wichtigste ist. Und da kommt es eben nicht gut, wenn man sagt "ich mag keine Hühnchenhaut, kann ich nen anderen Teller haben?" Da gehts nämlich darum einfach alles zu verwerten und gerade die Hühnchenhaut hat viel Fett und daher auch viel Energie und das ist mal das einzige, was dann zählt. 
Es ist schon verrückt, jetzt habe ich 10 Monate in Sevilla damit zugebracht mich zu bespaßen, mich zum Café zu verabreden, auf Feiertour zu gehen und die Sonne zu genießen (Stichwort: Hedonismus) und auf einmal fliegt man 18 Stunden ans andere Ende der Welt und da ist alles ganz anders. Es ist verdammt kalt, die Heizungen funktionieren höchstens sporadisch und der Instantkaffee, der überall verkauft wird, ist eher eine wässrige Option sich aufzuwärmen, als am morgen einen Koffeinschub zu genießen. Natürlich bin ich hier auch schon ausgegangen und habe mich betrunken und bespaße mich auf unterschiedlichste Art und Weise, aber jeden morgen, wenn ich auf dem Weg zu Arbeit durch Gebiete fahre, von denen ich denke: die haben jetzt gerade vielleicht keine Heizung im Haus und auch kein warmes Wasser und ganz sicher KEIN Curanto zum Mittagessen, dann rückt sich doch nochmal einiges an der Perspektive mit der man die Dinge betrachtet. Jetzt gerade sitze ich zum Beispiel im Wohnzimmer. Ich halte meine Füße an einen kleinen Kerosinofen (Zitat Natalia: "das ist zwar giftig, aber warm"), ich bin satt, ich habe heute einen Ausflug ans Meer gemacht und Natalias Papa hat mir ein Stück Fleisch zu Abendessen mitgebracht (hab ich gebraten und gegessen, ich weiß nicht, wann ich das in meinem Leben schonmal gemacht hab und es war ECHT lecker!) und ich bin irgendwie einfach zufrieden. Hab das Gefühl, dass ich alles hab, was ich brauch. Wahrscheinlich sogar noch einen Haufen mehr. 
Jetzt hab ich euch immernoch nicht genau erzählt, was ich hier mache und für Bilder und Berichte von meinem heutigen Ausflug zum Meer bleibt auch keine Kreativenergie mehr über. Das muss auf den nächsten Beitrag warten. Auch möchte ich euch noch erzählen, waurm sich zur Zeit hier in Temuco 6 Studenten im Hungerstreik befinden und fast tagtäglich Proteste auf den Straßen Santiagos sind, von denen der Rest wahrscheinlich gar nichts erfährt. Aber: Wenigstens wisst ihr jetzt schonmal was über das wichtigste hier. Das Essen! Und ich muss schon sagen, nach einem Überwindungskrieg am Anfang, den ich gegen mich selber gewonnen habe und dem missachten bisher halbherzig beachteter Prinzipien ist es schon ziemlich lecker. Mal gucken, was ich mir jetzt noch als Nachtisch mache.... !


Viele Grüße nach Deutschland, Spanien, Frankreich, Österreich, die Schweiz, England, Kolumbien, Belgien, Kenia, die USA, Japan und weißgott wo ihr euch alle rumtreibt. Ich denk oft an euch, passt auf euch! 
Lena




1 Kommentar:

  1. Ich mach mich jetzt mal auf, um zu sehen, was woanders gekocht wird ;)
    Ich bin so gespannt! Auch auf die "Küche".......

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