Mittwoch, 14. September 2011

Einführung in die kulturelle Vielfalt Chiles: Kapitel 3, Die Kunst des Mapuche Handwerk - oder: was ich hier eigentlich mache

Am 18. September ist großer chilenischer Volksfeiertag, Unabhängigkeitstag um genauer zu sein. Der Chilene trifft bereits fleißig Vorbereitungen. An jeder Straßenecke verkauft man die blau-rot-weißen Flaggen (made in China), es gibt Sonderpreise auf Grills und Fleisch (welch glücklicher Zufall!) und am Supermarkteingang steht nicht mehr wie gewöhnlich der Fitnessmüsli ("jetzt mit weniger Fett!"), sondern eine rot schreiende Bierpalette. Vor 200 Jahren wars also soweit, die Chilenen entledigten sich der spanischen Krone, weg mit Flamenco und Tapas! Was bleibt über? Ein chilenisches Volk und eine handvoll der Menschen, denen diese Erde eigentlich ursprünglich gehörte, eine handvoll Mapuche (Mapu = Erde, che = Volk. Kombiniere: Mensch der Erde)...
Was ist aus dem stolzen Kämpfervolk geworden? Na ja, ratet doch mal... richtig. Es teilt die traurige Geschichte indigener Völker auf der ganzen Welt. Um es in wenigen und reißerischen, aber trotzdem zutreffenden Worten zusammenzufassen: Entwurzelung, Armut, Alkoholismus. Ein Großteil der ca. 500.000 überlebenden Mapuche ist sesshaft in der Araucanía (also der Region in der ich arbeite). Hier siedeln sie in abgelegenen Gemeinden, sogenannten comunidades, in großer Armut und wie es mir scheint ohne rechte Vergangenheit und viel schlimmer ohne rechte Zukunft. Was hat das alles mit mir zu tun? (Abgesehen davon, dass es jeden etwas angeht wenn tagtäglich kulturelles Erbe in der Welt durch jahrelange Unterdrückung und Diskriminierung verloren geht?) Nun, ich bin ja nicht nur zum Dummheiten machen und Reisen hergekommen, sondern auch um auch endlich mal etwas sinnvolles zu tun. Und nachdem ich jetzt schon über zwei Monate  hier bin möchte ich auch endlich mal erzählen, was das denn ist...
Ich arbeite also von Montag bis Freitag 9.30 - 17.30 in der Fundación Chol-Chol. Die Stiftung arbeitet nach den Prinzipien des Fairen Handels mit knapp 200 Mapuchefrauen aus der Region zusammen und verkauft deren Textilprodukte ohne eigenes Gewinnstreben an hauptsächlich nationale Kunden weiter. "Trade not Aid" nennt man das dann, wenn es fertig ist, "Handel statt Hilfe" oder auch "Hilfe zur Selbsthilfe". Kleinkreditvergabe an die senoras um die Wollte für die Produkte zu kaufen, Schulungen zum (Wieder-)erlernen und Bewahren der eigenen Kultur, Kurse zur Färbung der Wolle auf natürlicher Pflanzenbasis und so weiter. Meine Funktion laut Vertrag: Anregung des internationalen Handels. Schauen wir mal in die Details.
Mein Arbeitsplatz, so unkonventionell wie die Stiftung  selbst. Jeden morgen fahre ich 20-30 Minuten mit den ruckelden Wackelbussen aus Temuco raus, ich sage zum Fahrer "Fundación CholChol, por favor!" und das Gefährt bremst schlagartig "in den middel of nowhere" wie man so schön sagt. Von dort überquere ich dann eine kleine Allee, die nicht nur von Bäumen, sondern auch von Enten, Hühnern, Hundewelpen einem Loriotähnlichen Ehepaar (Sie hat eine Krankheit an den Stimmbändern, Er hört schlecht, zusammen mimen sie die Hausmeister) und ab und an ein paar freilaufenden Schweinen gesäumt wird. Es gibt ein "Büro" in dem einem früh morgens ein prasselndes Kaminfeuer hilft die chilenische Winterkälte zu überleben, eine Küche in der zur Mittagszeit provisorische Mahlzeiten zubereitet werden und jede Menge guter Menschen, von denen die Welt mehr bräuchte. Die Organisation hat zwei Festangestellte. Und ca. einen Haufen Freiwillige. Die Organisation hat kein finanziellen Ressourcen, nichtmal um einen Bleistift oder Drucker zu kaufen und einen Haufen finanziellen Bedarf...
Dafür gibts aber große Räumlichkeiten für geselliges Beisammensein der senoras, es gibt einen Biogarten, der gerade neu angelegt wird und es gibt eine Ruka, die ihr links im Bild seht. Die Ruka ist das traditionelle "Haus" der Mapuche und wird auch heute noch bei größeren Zusammenkünften genutzt. Und dann, denke ich mir, während ich jeden morgen auf dem Weg zu meinem "Büro" bin, gibt es tatsächlich Leute auf der Welt, die den ganzen Tag im 23. Stock eines Hochhauses im klimatisierten Zimmer sitzen. Ich glaube da würde ich innerlich sterben.
Um die Produkte der senoras an den Mann zu bringen reicht es für mich natürlich nicht, das Wort RUKA buchstabieren zu können. Es ist vielmehr wichtig einen Einblick in die Lebensweise der Mapuche zu gewinnen, sie zu fragen, von ihnen zu lernen und vor allem zu sehen, wie die Textilien entstehen. Anfangs habe ich die Ponchos und mantas gesehen und dachte "och, ja. Das ist aber ein hübscher Teppich. Nett! Das Gelb könnte vielleicht bisschen kräftiger sein." Und dann hatte ich die Möglichkeit mit ins terreno zu fahren.
Auf dem Land: Temuco richtung Küste, nahe Puerto Saveedra.
 Wie ein Schädling kam ich mir irgendwie vor in diese Welt einzurdringen, mit meiner roten und wasserabweisenden Winterjacke und den Goretexschuhen. Und trotzdem war der Empfang irgendwie herzlich. Mapuchefrühstück: In Asche gebackenes Brot, hartgekochte und Eier mit der typischen blauen Färbung der Araucanía, Sopaipillas (das ist eine in Fett ausgebackene Mehlmasse) und ají, also eine Sauce aus Pepperoni. Wer bis dahin noch nicht wach war, ist es dann! Oder spätestens nach dem ersten Schluck Mate-Tee, der in Sachen Bitterkeit Campari hoch 10 ist. Auch wieder sehr bezeichnend: bevor das eigentliche "Meeting" losgeht wird erstmal gut gegessen und dann kann man weitersehen. Also gut, nach dem leckeren Frühstück gings dann los. Ich konnte zum ersten Mal in meinem Leben sehen, was es eigentlich heißt, wenn etwas handgearbeitet ist. Wenn von bio gesprochen. Und was eigentlich Kultur bedeutet, dass für den armen Deutschen ja irgendwie Sauerkraut, Dirndl und wenns hoch kommt noch ein Frankfurter Würstchen ist. Das hier ist jedenfalls Textil-Kultur Mapuche...

Man nehme ein paar Schafe und bringe sie zum Friseut ihrer Wahl... määääähh...


...die Wolle muss gewaschen und gesponnen werden...



... dann kommt der Färbeprozess. Zum Färben werden verschiedenste Pflanzen genutzt. Von Zwiebelschalen über Rotkraut, Baumblätter ist alles dabei....


... die Pflanzen werden eingekocht und die Wolle 20 Minuten in dem Farbigen Wasser eingeweicht. Weiterhin folgen verschiedene Waschprozesse mit Farbfestigern (wie verschiedenen Salzen) und das wunderschöne und fröhliche Ergebnis ist dieses.... 


...nun kann die eigentliche Webarbeit beginnen... das will gekonnt sein...




 Na ja und von den Endergebnissen der Produkte könnt ihr euch ja selber im Online-Katalog der Fundación überzeugen, wen es interessiert. Das interessante an der Arbeit war für mich nicht nur, die Art und Weise wie die Textilien hergestellt werden, sondern auch die Art und Weise der Frauen zusammenzuarbeiten. Routiniert, da sitzt jeder Handgriff und ein Zahnrädchen greift ins andere. Aber trotzdem scheint es eine Nebensache zu sein. Klatsch und Tratsch, kurz das soziale Miteinander ist bei allem Tun im Vordergrund. Kein Wunder, dass das dann alles fluppt, denn schon als kleines Mädchen wird man mit in die Prozesse eingebunden.
















 Gut, ich gebe zu, dass ich hier ein ganz ganz heiles Bild darstelle. Vieles von der Kultur ist im Laufe der Jahre verloren gegangen. Die indigene Sprache Mapudungun sprechen nur noch wenige der Mapuche und die Symbolik innerhalb der Textilstücke sind oft unbekannt. Aber gerade deswegen gilt es mit allen Mitteln das zu erhalten, was noch da ist!
Neben dieser Generation von ländlich lebenden Mapuche gibts dann die jüngere Generation, die in den Städten leben und entweder negieren, dass ihr Opa Mapuche war und sich betont chilenisch verhalten, oder im anderen Extrem diejenigen, die für die Anerkennung des Volkes kämpfen, Mapudungun lernen und über Literatur versuchen ihre Wurzeln und Kultur wiederzuerlenen. Für mich als Deutsche ist das irgendwie neu. Ich bin halt Deutsch. Mama, Papa. Oma, Opa. War halt so damals. Weitermachen. In der Adidasjacke, die ich trage muss ich nicht groß nach Symbolen suchen, Oregano nutze ich zur Verfeinerung von Tomatensaucen und nicht zum Heilen von Magenkrämpfen und anstatt einer weisen Machi, die ein wandelndes Lexikon mit allem Wissen ihrer Vorfahren ist, habe ich einen Bürgermeister, der zu allem Überfluss auch noch Dankwart mit Vornamen heißt. Eines der wirtschaftlich reichsten länder der Welt und meines Erachtens doch so arm. Volkswagen, Sauerbraten, Beethoven. Ahja und Adolf. Der ist wohl das Bekannteste im Ausland. Hier höre ich die erste Strophe unserer Nationalhymne und zur Begrüßung hab ich schon den Hitlergruß bekommen. Unwissenheit schützt vor Dummheit nicht? Naja. Weiter im Text: die junge, städtische Generation also. Arbeitet auch mit der Stiftung Chol-Chol zusammen. Hauptsächlich im Juweliersbereich- und Dekobereich. Orientieren sich an traditioneller Symbolik, verfeinern selbige mit zeitgenössischen Elementen, reproduzieren antike Silber- oder Tonware. Vor allem die Mädels sollten dringend mal auf Marcelos Homepage  vorbeischauen und staunen. Das besondere an Marcelos Produkten ist das Holz. Picollo nennt es sich und ist der Teil des Baumes der Araucaria, der überbleibt, nachdem der Baum gestorben und der äußere Stamm abgefault ist. Das kann so seine eintausend bis zweitausend Jahre dauern und hier kommt dann Marcelo ins Spiel....
Ich würde gerne noch soviel mehr darüber erzählen, aber das führt einfach zu weit und die meisten von euch werden wahrscheinlich mit dem Kopf auf der Tastatur einschlafen. JEDOCH - was ich zur Zeit mache ist eine Mischung aus Katalog und Präsentation der Stiftung, den es in Deutsch, Englisch und Spanisch geben wird. Der soll nicht nur die Produktpalette darbieten, sondern auch die Gesichter und Geschichten hinter jedem einzelnen Stück vorstellen. Und die Geschichten, die diese Menschen zu erzählen haben sind verdammt spannend!


Jetzt wisst ihr, was ich tagtäglich von Montag bis Freitag so treibe. Am Wochenende sehe ich zu, dass ich raus aus der schmutzigsten Stadt Chiles komme. Zum Beispiel zum kulinarischen Genießen von Wein und Gegrilltem in Mendoza (Argentinien) oder in die nur zwei Stunden entfernte Andenregion. Vulkanparadies, Heimat des Condors, des Puma und schier grenzenloser Artenvielfalt die Flora betreffend. Zum Wandern im Schnee, zum Schlammwaten zwischen grünblau glitzernden Wasserfällen, zum Durchatmen der klarsten Luft aller Zeiten und einem atemberaubenden Sternenhimmel bei Nacht. Ich kann nicht genau in Worte fassen, was bei diesen Touren in mir vorgeht, aber irgendwas passiert, dass mich glauben macht, dass ich nicht den Rest meines Lebens in einem Büro Wuppertal Downtown arbeiten kann. 100% Glücksgefühle, die beim Anblick dieser reinen Schönheit entstehen. Wow. Hier kommt also wieder der Plan mit dem Mann und den 13 Schafen und dem Esel (in diesem Fall würd ich diesen jedoch gegen 5 Wildpferde austauschen um von A nach B zu gelangen) ins Spiel. ("Den Mann oder den Esel?", frag ich mich gerade bei erneutem Durchlesen des Textes. Hm. Ich sag mal, dass bleibt eurem Interpretationsspielraum überlassen!) Ich könnte mir hier eine kleine Farm aufbauen, die nebenbei Backpacker aus aller Welt beherbergt, damit mir nicht langweilig wird!. Da stellt keiner Ansprüche außer frischem Gras (sowohl das Schaf, als auch der Backpacker) und vieles, was uns sonst so wichtig erscheint wird plötzlich zu einer dicken, fetten Nebensache. Naja, schaut mal rein.

Bunte Bilder von Unterwegs nach Argentinien





...und jetzt: die kleine Lena ganz glücklich in den großen Anden... baaaah... da will man Schreien so frei fühlt sich das an!







 


Waaaaaaaaaaaaaaaaaah!!! So... Blog- und Schreimarathon beendet. Ich muss schlafen. Und morgen die chilenische Flagge vors Haus hängen, wer das nicht macht, muss nämlich Strafgeld zahlen. Jawoll, Zucht und Ordnung! Lasst mal was von euch hören Leute auch wenns nur "ich mach das gleiche wie immer" ist. 

Erkältete Grüße aus dem frühsommerlichen Temucoooo,
Lennard




6 Kommentare:

  1. Annika (Bio-LK ;))14. September 2011 um 07:15

    Hi Lena,
    das ist so unfassbar interessant - du sitzt in Chile und lernst was über echte Handarbeit, Fair Trade, Bescheidenheit, Bodenständigkeit und was weiß ich nicht noch alles, während ich aufgrund der enormen Konsumlust der Amerikaner fast den Überblick verliere. Plastik wo man nur hinsieht, Fast Food und Fettleibigkeit ohne Ende, Spam, riesige Supermärkte, Autos, Überfluss, und, na ja, was man eben so kennt aus den USA. Das ist auch spannend, irgendwie, vor allem aus meiner Perspektive als North American Studies-Studentin, aber ich habe jedes Mal ein schlechtes Gewissen, wenn ich mir Mittagessen in der Uni kaufe und alles nur auf Plastiktellern mit Plastikbesteck serviert bekomme. Oder wenn ich meinen Tee aus dem Pappbecher schlürfen muss, obwohl ich ihn "for here" bestellt habe. Ich muss sagen, dass ich Deutschland in der Hinsicht vermisse - man lebt dort zwar längst nicht so bescheiden und rücksichtsvoll wie in Chile, aber im Vergleich zu den USA kennt man wenigstens den Weg in die richtige Richtung (und leugnet nicht, wie manch einer, den Klimawandel, weil in der Bibel ja steht, dass es keine zweite Flut geben wird...). Hier, so ist zumindest bisher mein Eindruck, verschließt man vor den wesentlichen Dingen weitestgehend die Augen (dieses Vorurteil kann ich bisher weitestgehend bestätigen).
    Alles Gute weiterhin!

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  2. ... ach ja, was ich noch vergessen habe: Mac & Cheese - iiiihhhh!

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  3. Liebe BIO-LK Annika (was hätte ich nur damals ohne dich getan?) - wie in deinem Blog auch geschrieben, ist dieser Bericht nur ein kleiner Detailausschnitt des chilenischen Lebens, den viele Chilenen an sich nichtmal kennen(lernen). Ich habe nur die Möglichkeit dazu, weil ich eben in der Stiftung arbeite. Generell ist die Plastikplastikplastik wegewerfgeschichte aber mindestens mal genauso verbreitet wie in den USA. Nur der Überfluss ist vielleicht aufgrund fehlenden Kapitals nicht so vorhanden. (Die Übergewichtigkeit jedoch schon! Das hängt damit zusammen, dass Pommes und frittierte Backwaren einfach die günstigste Art sind sich zu ernähren) Ich könnte hier noch weiterschreiben, aber vielleicht nehm ich diese Denkanstöße einfach für meinen nächsten Blog.... viele Grüße nach Amiland! Stay tuned! Lena

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  4. Deine rote und wasserabweisende Regenjacke paßt sich gut ins Gesamtbild ein. Und wie weit dich jetzt deine Schuhe tragen UND deine Knie ist besonders erfreulich :)

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  5. Sigo practicando mi aleman y leyendo tu blog! beso

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  6. Schau bei Gelegenheit mal rein... ich hab dir schonmal davon erzählt... Ein kleiner Verlag für Blogs die zu Büchern werden sollten :)
    Elisa

    http://www.stuz.de/kultur/zwischen-bl-tenbl-ttern-und-kiwis
    http://www.goldhandbooks.com/

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