Freitag, 21. Oktober 2011

The End



Sao Paolo, Aeropuerto, 19:40 Ortszeit. Reisezeit 20 von ca. 40 Stunden. Körperlicher Status: Übel- und Müdigkeit, mentaler Status: nicht feststellbar. Lang ists her, dass ich meinen letzten Blogeintrag geschrieben habe - was ist nur passiert in der Zwischenzeit? Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Aber rückblickend kommt es mir vor, als seien die vergangenen Wochen im Zeitraffermodus verlaufen und - zack - auf einmal heißt es online-checkin, Rucksack packen, Extra-Ration Taschentücher kaufen um die Abschiedstränen zu trocknen. Für wen ich die vergieße? Für Freunde, die ich am anderen Ende der Welt gefunden habe, für ein Land, das an Schönheit und Vielfalt wohl kaum zu überbieten ist, für ein Leben, das mir Zeit lies zu atmen, genießen und neugierig sein. War 'ne schöne Zeit....!
Die Zeilen habe ich vor ziemlich genauer einer Woche am Flughafen in Sao Paolo geschrieben, danach hat dann die Müdigkeit weitere Überlegungen und Kreativität für literarische Ergüsse unmöglich gemacht. Es ist jedoch an der Zeit den Blog ordnungsgemäß abzuschließen. Schlielich bin ich jetzt wieder in Deutschland.... Deutschland? Ja, Deutschland. Was ist das überhaupt für ein Land? Nach über einem Jahr im spanischsprachigen Ausland komme ich zurück und sehe einige Dinge mal mit anderen Augen.
Mein erster Gedanke am Flughafen: Ob man hier Pantoffeln gereicht bekommt, damit man den auf hochglanz polierten Boden nicht dreckig macht? Sauber! Dann blieben meine Augen an den futuristischen Werbeplakaten hängen, der elektronischen Hightech und dem schwarzen Mann, der die Toiletten sauber gemacht hat. Kontrast. Schilder führen mich zum ICE Fernbahnhof, hier kann man sich nicht verirren, top ausgeschildert. Ganz schön organisiert. Die Leute laufen in kleinen oder großen Gruppen an mir vorbei, manchmal mit kleinen Trolleys, manchmal mit großen Rollkoffern, aber immer schön stilecht, ohne den Blick nach links und rechts zu wenden, in gedeckten Farben und nur nicht die Stimme erheben! Zielstrebig. 
Wo die wohl alle hinwollen? Der Zug kommt auf die Sekunde pünktlich, ICE bei der Einfahrt, zurücktreten bitte! Und dass während mir einer der Busse in Chile aus versehen beim Anfahren der Haltestelle schonmal seinen Außenspiegel um die Ohren gehauen hatte. Der Zug düst los, ich bekomme nach Monaten der Gewöhnungs an langsame Ruckelbusse fast einen Geschwindigkeitsrausch und sehe die kleinen verstreuten Dörfer des Westerwaldes in der herbstlichen Landschaft schnell dahinsausen. Niedlich sieht das irgendwie aus, gepflegt, sehr sehr ordentlich und mehr nach ein Gemälde, als nach belebtem Land, denke ich. Das Pärchen mit Laptopkoffer meckert, dass es mit der Sitzplatzreservierung nicht geklappt hat und im Gang können sie sich nicht hinsetzen, da beginnt nämlich der 1.Klassebereich schon. Der Schaffner willnochmabiddekurzmeinenFahrausweissehendanke ohne mir dabei in die Augen zu gucken und dann heißt es auch schon: Ausstieg in Fahrtrichtung rechts bitte!, und ich atme die gute Westerwaldluft. Ich freue mich, das riecht schon besser als im rauchverhangenen Temuco und gleichzeitig bekomme ich einen Kloß im Hals. Denke: Temuco.... Chil.... das Land... die Leute... ach! Viel Zeit für Wehmut bleibt nicht, hektisch eilt der Standartdeutsche an mir vorbei, auf dem Parkplatz steht der schöne A5 neben dem dunkelblau eleganten neuen 3er BMW Model. Da fällt mir ein, dass mich zu Anfang meines Aufenthalts in Chile der kleine Bruder eines Freundes fragte: "Gibts da auch mehr als drei Automarken in Deutschland? Gibt's da wirklich BMW?" Wenn der wüsste, der Kleine, dass hier auf dem Parkplatz in Montabaur wahrscheinlich mehr Geld an Autos steht, als ich ganz Temuco rumfährt.... Da kommt auch schon meinen Mama angelaufen, vermisst hat sie mich! Na ja, das hört man ja immer gerne. "War ich überhaupt weg?", denke ich, als ich sie sehe. Ich fasse mir mal an den Kopf. Ah, die Mütze ist noch da, die hat man mir in Chile geschenkt, puh... war also kein Traum.... wir fahren nach Hause. Da gibts Toaster, Wasserkocher, Mikrowelle, Ofen, immer heißes Wasser, eine Heizung in jedem Raum, große Messer, kleine Messer, mehrere Steroanlagen, Waschmaschine, Trockner, 2 Föns, elektrische Zahnbürste, Dekoartikel, Bratpfannensets, Fußabtreter, einen Flatscreenfernseher mit VHS und Schüssel, große Ledersessel... alles was man braucht eben. Ach halt... braucht man das wirklich alles? Nee, denke ich und freue mich dann ohne es zu bemerken über das heiße Wasser, dass aus der Dusche kommt, die Wirbelsäulenfreundlichen Ledersessel, die wohlige Wärme und die Möglichkeit, dass meine Mama mich am nächsten Tag nach Trier fahren kann. Muss also nicht mit 2 Koffern, 3 Wörterbüchern und sonstigem Lebensnotwendigenkrams nach Trier mit dem Fernlinienbus fahren. Schön. Es ist soo sauber hier in Deutschland, es gibt Busfahrpläne, die sagen 7.13 (und wenn der Bus um 7.14 nicht da ist, meckert der erste Trierer schon wieder vor sich hin. Wo bleeeift den Bus denn jetz scho widda?), die Leute schweigen in den öffentlichen Verkehrsmitteln, bewegen sich selten in Großgruppen und... bewegen sich auch generell sehr wenig, huch. Wo ist denn da die Gestik hin?

Ich sitze im Bus und träume, in der Bib und träume und abends im Bett in dem kleinen Zimmer in dem mir die Decke ganz schön niedrig vorkommt, brauche ich auch zum Einschlafen meine 1-2 Stunden... liegt das jetzt am Jetlag oder daran, dass FernwehbilderBilder vor meinen Augen herziehen, die sich so bald in live nicht mehr sehen werde zwischen Bett, Asphalt, Uni, Bars und... Bett?

Welche Bilder....? Bilder von meiner Schneewanderung durch den Parque Nacional Malalcahuello und das anschließende Gutgehwochenende mit verrückten Chilenen.... 
Mittagspause der Schneewanderung bei 8 Stunden Dauerregen. Am Ziel und glücklich, wie kann das sein?

Auf der Jagd! Jedes Wildtier hätte mich für meine Ergebnisse ausgelacht!

Mit Ernst bei der Arbeit. "Wir wollen die deutsche mal Grillen sehen!!!". Zum Abendessen und Mittagessen gabs Asado-- Gegrilltes. Mit Brot, ohne Salat. Mit Bier, mit Wein und Pisco Sour ohne Wasser.
... von meinem 24. Geburtstag in Chile, an dem man mich ohne mich vorzuwarnen in die Torte-ins-Gesicht-drück-Tradition der Chilenen einweihte... 
Vorher...

Nachher...
... Bilder aus meiner geliebten Araucanía, der Region Chiles, die ich wohl am besten kennengelernt habe. Wo Vulkane, Gletscher, Urwälder, Bergseen und Lagunen, Meer und Anden aufeinandertreffen.... Unterwegs zu Fuß, zu Fahrrad und zu Pferd um ab und an die Blasen an den Füßen gegen einen schmerzenden Hintern auszutauschen. Ich habe gelernt, dass ein atemberaubender Blick oder schöner Erlebnisse durch die absolute Erschöpfung, die einen ans Ziel gebracht hat, nur noch schöner werden. Und ich habe gelernt, dass Regen gar nicht nervig ist. Das ist doch Teil unseres Lebens hier. Du wirst schon wieder trocken am Abend, sagte man mir und so war es auch. Also genießen, wenn man auf der Kaputze das leichte Tröpfeln hört und sich der Schweiß im Gesicht mit Regenwasser vermischt!

....unterwegs mit dem Rad.... jetzt aber schnell runter von die Straße nutzen und das Zweirad auch zu dem machen, was es ist... ein off-road gefährt...
...vorbei an leuchtend gelben Wäldern...



...tiefblauen Flüssen, die sich zu reißenden Rafting-Gewässern verwandeln...
...vorbei an duftendem Frühlingsgrün...







...zu den glitzernden Wasserfällen "Ojos de Carburga"...


... und dem gleichnamigen See, an dem nicht nur die Straße auffhört, sondern auch irgendwie die Welt...
... hier könnte ihr Boot stehen...
... und dann das Gefährt an den heißen Quellen stehenlassen, reinjumpen und sich mal so ordentlich von innen aufwärmen lassen, während von oben der Regen weiter kühl auf den Kopf prasselt... klingt schön? War es auch...
Bei all dem darf natürlich nie der Kontakt zu den Einheimischen fehlen. Ob es der 10 jährige Chilene Hartmut Wohlenberg war mit dem ich meinen Abend im Hostel Bridge Builder II gespielt habe oder der alte Mann der mich zu einem atemberaubenden Ausritt in die Kordillere der Anden mitgenommen hat und mir während der Reiterei (Oh vorsicht, hier gehts jetzt steil runter! Juhu... los... das Leben riskieren!) mehr Lebensweisheiten und Allgemeinbildung mit auf den Weg gab als mir lieb gewesen wäre (Das wichtigste für dich im Leben ist: du musst feminin sein! Immer dran denken. Feminin! Roter Lippenstift ist da zum Beispiel gut! ... Du glaubst tatsächlich Adolf Hitler wäre in Deutschland gestorben? UNSINN! Hier hat er gelebt, an der Grenze zu Argentinien, mit seinem ganzen treuen Volksstab, ich kann dir den Laden zeigen, wo Eva Braun immer einkaufen ging!.... Ein Mann muss eine Frau auf Händen tragen. Nicht wie heute, wo dann die Frauen in der Discothek den Mann ansprechen. Das ist doch alles falsch. Erobern muss der Mann, erobern!) ... es war stets ein großes Vergnügen, Erlebnis und horizonterweiternd.
Kontakt zu den Einheimischen. Ziege oder Hund? Das wussten wir beide nicht so genau.
... ab ins Reitabenteuer... Mapucheponcho, Rodeohut, Alpacaschal. Mehr Südamerika ging nicht..

Später gings dann noch mit meinem amigo und persönlichen Guide Felipe rauf in die Berge. 1000Höhenmeter rauf auf El Cañi. Und das mit einem knapp 15kg schweren Rucksack. Zelt, Matte, Schlafsack, Vorräte, Winterjacke, Schneeschuhe. Gut, dass ich da vorher nochmal einen Grundkursim Rucksackpacken vom Maestro bekommen haben. Nach guten 3 Stunden für 9km (Felipe wähe sicherlich ohne mit mit seinem doppelt so schweren Rucksack in 1 1/2 Stunden locker hochgejoggt) kamen wir bei Sonnenuntergang oben an. Er: schon den offenen Wein in der Hand, ich: den Tränen und dem Erbrechen nah vor Erschöpfung aber so unendlich glücklich.  

Grundkurs Rucksackpacken
Ankunft bei Sonnenuntergang
Aufwachen mit Traumpanorama Teil I
Aufwachen mit Traumpanorama Teil II

Oldschool Refugio und Stylo Tent. Achtung. Product Placement.
Von hier aus gings dann nochmal einige hundert Meter in die Höhe, zu eis- und schneebedeckten Lagunen, Araukarienwäldern und absoluter Ruhe und Friedlichkeit...  


 
...mystisch.... tranquilizante...


Und hier noch ohne große Umscheife die letzen Bilder zu meine letzten Wanderung im Parque Huerquehue. Wasserfälle und Bergseen. Abenteuerliche Wanderwege (und abenteuerlich große Blasen an den Füßen) und die Frage ob man es bis zum letzten Bus in die Zivilisation zurückschafft haben die Tage für mich zu einem besonderen Erlebnis gemacht...

Hier kann man nur erahnan, wohin das Wasser 10m weiterfließt...

...auf dem Weg nach oben... 300 Höhenmeter fehlen noch...


Am Ziel... da gibts dann immer gesalzene Erdnüsse, Banane und Wasser aus den klaren und eiskalten Bergflüssen... was will man mehr?
Und wenn die Träumerei dann irgendwann rum ist, schlaf ich ein... und träume weiter...

Da der Eintrag wohl mit Fotos schon relativ lang geworden ist, werde ich ihn an dieser Stelle beenden ohne mich weiter in kulturellen Differenzen Spaniens, Chiles und Deutschlands zu verstricken, am Ende kann man ohnehin grün und gelb nicht vergleichen oder sagen ob man jetzt Spaghetti oder Pizza will. Ich hoffe das Lesen hat sich gelohnt, in Zukunft gibts ja erstmal keine Beiträge mehr (zumindest bis Februar) Ich hab mich auf jeden Fall immer sehr gefreut über jegliche Kommentare, Posts und Meinungen. Und über das Interesse an meinen Erlebnissen und die Leute die mit mir in Kontakt geblieben sind. Und jetzt werden wir nochmal kurz sentimental (Wenn ich eins im Ausland immer wieder gehört habe, wars der Satz "Und ich dachte immer Deutsche wären so kalt!" Hah, Pustekuchen!)....

Danke Mama und Papa, dass ihr mich immer bei allem unterstützt habt (aus der Nähe und aus der Ferne) und ohne euch das alles hier wahrscheinlich wesentlich schwerer zu realisieren gewesen wäre. Tim, für den Satz mit der Selbstlösungskompetenz des Lebens (geprüft und für wahr befunden).
Danke meine Homies in Trier, TriMUN, Karl-Marx-Str, Kitty Alois Kät, die mich so lieb wieder empfangen haben, mich in Spanien besucht haben, mir gut zugeredet haben in Durchhängephasen und mich nicht vergessen haben. Und natürlich an die Girls aus dem WW, die nie die Geduld mit mir verlieren. Simon, dafür, dass du immer wieder an den Löwen in mir appeliert hast.... Wenn ich mich über eins hier in Deutschland freue, dann seid ihr das, schön, dass es euch gibt!

Gracias mis amigos de Sevilla para darme animo, buenos recuerdos y un tiempo inolvidable... tener paciencia conmigo en los primeros meses cuando mi espanol todavía consistió en "hola, que tal?", para ensenarme la vida de la alegría y... puees.. na... pa tó!
Gracias Temucenos y Babygirrlz Lupita para acogerme tan carinoso. Tuve un tiempo loco y inolvidable bueno. Aprendí mucho y espero regresar un día a la hermosa Araucanía. El resto ya os dijé... ya saben de que estoy hablando!

Jetzt wirds Zeit wieder in der Realität anzukommen: Uni, Hausarbeiten, Zwischenprüfung, Jobsuche, Obst ohne Geschmack, weitere 6 Monate Winter usw usf. Mal sehen wie das so klappt. Fest steht... ich habe tolle Länder und Menschen kennengelernt, ein wunderschönes Jahr reich an prägenden Erlebnissen gehabt, viel über mich selber und die Welt wie sie ist gelernt und würde wohl im Nachhinein nichts anders machen wollen. Misson "Lebenszeit nutzen" erfolgreich ausgeführt.
Genauso traurig wie ich bin, mich von diesem 100% - a full - Leben verabschieden zu müssen, so schön ist es aber auch euch hier alle vor Ort wiederzusehen und zu treffen. Und was soll ich sagen... die nächste Reise kommt bestimmt, denn ob ich hier in Deutschland den Rest meines Lebens bleiben mag, das weiß ich noch nicht!

Stay tuned, hasta la próxima vez,
Lena

PS: In diesem Sinne... RAN AN DEN SPECK!


3 Kommentare:

  1. Lena, Lena, Lena. Hoffe, du hast noch ein oder zwei Taschentücher übrig und kannst sie entbehren, um sie genauso zu teilen wie deine wundervollen, atemberaubenden und rührenden Erlebnisse, Eindrücke.
    So viel Wahrheit steckt in deinen Worten, so viel Lebenslust, so viel Gefühl.
    Im wahrsten Sinne des Wortes zu Tränen gerührt, lese ich und freue mich sehnlichst auf ein Wiedersehen mit dir!!!

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  2. Es ist ein Genuss deine blogs zu lesen. Ein Miterleben von zu Hause aus durch die bildhaften wunderschönen Schilderungen deiner Erlebnisse, unterstützt durch die wirklich tollen Photos! Danke für die Zeit, die du dir immer noch dafür nimmst, die deinen teilhaben zu lassen an deinem Leben. Trotz allem....in Vorfreude auf das nächste Abenteuer :)

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  3. ...und wenn du Chile zu sehr vermisst, komm nach Berlin, hier gibt es immer mal wieder ein paar Chilenen, Cumbia und Pisco :-)
    Liebe Grüße,
    Lena

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