Montag, 1. Juli 2013

Nachtzug nach Paris



Am Abend vor meiner Abreise sah ich mir noch den passenden Film dazu an. Der grobe Plot: Er trifft sie im Nachtzug, unterwegs - natürlich -nach Paris. Man würde sich auch glatt direkt ineinander verlieben, hätte man nicht nur knappe zwölf Stunden Zeit bis zur Ankunft in der Stadt der Liebe und dem Hauptbahnhof Realität, der zwei Lebenswege genauso skrupellos voneinander trennen kann, wie er sie im Vorhinein aus einer Laune heraus zusammengeführt hat. Es hätte die ganz große Liebe werden können, wäre -ja wäre - den Beiden nicht das Leben dazwischen gekommen....

Einige Stunden später steige ich dann selbst in den die City Night Line. Hamburg Altona,  Destination Paris. Destination Croissants et Café au Lait, Destination vin et fromage, Destination l’art de vivre et l’amour! Nachtzug!! Aufregend!!!,  denke ich noch. Mit welchem Jude Law würde ICH wohl die nächsten 14 Stunden bis Gare de l’Est auf engstem Schlafwagenwagonraum verbringen? Exakt 17 Minuten später die bodenlose Ernüchterung: Sieben Menschen auf gefühlten drei Quadratmetern, von denen nicht einmal im Ansatz einer zumindest die Geheimratsecken von Jude Law hätte aufweisen könne. 

In den Hauptrollen des sich von da an entwickelnden grotesken Dramas: Francois, 29, französischer Teilchenphysiker, der ohne seinen roten Schal und den ausgedünnten Schnurrbart ohne weiteres als Halbtagsdouble von Christoph Walz in Inglourious Basterds tätig sein könnte. Fürchtet sich aber passender Weise vor dem Hamburger Viertel St. Pauli und ist unterwegs zu Muttern nach Paris, wird die ganze Nacht kein Auge zutun können, liest dafür aber ohne Anzeichen von Ermüdung in einem Sachbuch über … Physik. 

Außerdem ein junger Inder, ich möchte ihn mal Ajith nennen, Software-Engineer, natürlich. Trinkt weder Kaffee, noch Alkohol, weil Drogen, und präsentiert Fotos vom indischen Holi - Fest der Farben auf seinem Smart-Phone, das wahrscheinlich x² +1 mal so raffiniert ist, wie mein Laptop. Trägt dabei einen maßgeschneiderten schwarzen Anzug (der Inder, nicht das Smart-Phone), will früh zu Bett, denn ein Wochenende hat schließlich nur  72 Stunden (frohe Ostern), die ausgeschlafen genutzt werden wollen. Trifft sich mit der indischen Software-Diaspora in Luxembourg um möglichst viel in möglichst kurzer Zeit zu fotografieren. 

Als Statisten und für den konstanten Hintergrundlärm verantwortlich: eine russische Kleinfamilie. Mutter, Tocher (4), Sohn (6), Oma (9-99). Sohn quengelt auf Halbrussisch: ohne Franzbrötchen, so verstehe ich, kein Quengel-Waffenstillstand. Leider zähl das Hamburger Plunderteiggebäck ganz zum Leidwesen aller anwesenden Ohren und Nerven nicht zum kulinarischen Grundinventar des DB-Nachtzuges. Mutter und Oma streiten parallel dazu erregt um ein mir nicht bekanntes issue. Oma gestikuliert dabei wild mit ihren schwarzen Fingernägeln, von denen einer länger ist, als all die Meinigen zusammen. Die Fetttröpfchen der zweiten Pizza, mit deren Einverleibung die Schwarznagelige bereits begann, bevor wir den Hamburg Hauptbahnhof verlassen hatten, fliegen dabei fröhlich durchs Abteil. Man ist mit der Qualität des Schlafwagens nicht zufrieden, erklärt man mir dann. Ich nicke verständnisvoll. Zumindest die Pizza scheint zu schmecken.

Als dann der dickbäuchige Schaffner kurz nach Hamburg-Harburg noch den Eingang verdunkelt und in dem ganzen Chaos malbiddekurzdiefaaaahrkarten sehen möchte, lege ich mich auf meiner Pritsche zurück, schließe die Augen und freue mich, dass das Leben dank seiner ernüchternd-erfrischenden Bipolarität zumindest eines nie versäumt: aufregend zu sein.  

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