Am Abend vor meiner Abreise sah ich mir noch den passenden Film
dazu an. Der grobe Plot: Er trifft sie im Nachtzug, unterwegs - natürlich -nach Paris. Man würde sich auch glatt direkt ineinander verlieben, hätte man nicht nur knappe zwölf Stunden Zeit bis zur Ankunft
in der Stadt der Liebe und dem Hauptbahnhof Realität, der zwei Lebenswege
genauso skrupellos voneinander trennen kann, wie er sie im Vorhinein aus einer
Laune heraus zusammengeführt hat. Es hätte die ganz große Liebe werden können,
wäre -ja wäre - den Beiden nicht das Leben dazwischen gekommen....
Einige Stunden später steige ich dann selbst in den die
City Night Line. Hamburg Altona, Destination
Paris. Destination Croissants et Café au Lait, Destination vin et fromage,
Destination l’art de vivre et l’amour! Nachtzug!! Aufregend!!!, denke ich noch. Mit welchem Jude Law würde ICH wohl die nächsten 14 Stunden bis Gare de l’Est auf engstem
Schlafwagenwagonraum verbringen? Exakt 17 Minuten später die bodenlose
Ernüchterung: Sieben Menschen auf gefühlten drei Quadratmetern, von denen nicht
einmal im Ansatz einer zumindest die Geheimratsecken von Jude Law hätte
aufweisen könne.
In den Hauptrollen des sich von da an entwickelnden grotesken Dramas: Francois, 29,
französischer Teilchenphysiker, der ohne seinen roten Schal und den ausgedünnten
Schnurrbart ohne weiteres als Halbtagsdouble von Christoph Walz in Inglourious
Basterds tätig sein könnte. Fürchtet sich aber passender Weise vor dem Hamburger
Viertel St. Pauli und ist unterwegs zu Muttern nach Paris, wird die ganze Nacht
kein Auge zutun können, liest dafür aber ohne Anzeichen von Ermüdung in einem
Sachbuch über … Physik.
Außerdem ein junger Inder, ich möchte ihn mal Ajith nennen,
Software-Engineer, natürlich. Trinkt weder Kaffee, noch Alkohol,
weil Drogen, und präsentiert Fotos vom indischen Holi - Fest der Farben auf seinem Smart-Phone,
das wahrscheinlich x² +1 mal so raffiniert ist, wie mein Laptop. Trägt dabei
einen maßgeschneiderten schwarzen Anzug (der Inder, nicht das Smart-Phone), will
früh zu Bett, denn ein Wochenende hat schließlich nur 72 Stunden (frohe Ostern), die ausgeschlafen
genutzt werden wollen. Trifft sich mit der indischen Software-Diaspora in
Luxembourg um möglichst viel in möglichst kurzer Zeit zu fotografieren.
Als Statisten und für den konstanten Hintergrundlärm
verantwortlich: eine russische Kleinfamilie. Mutter, Tocher (4), Sohn (6), Oma
(9-99). Sohn quengelt auf Halbrussisch: ohne Franzbrötchen, so verstehe ich, kein Quengel-Waffenstillstand.
Leider zähl das Hamburger Plunderteiggebäck ganz zum Leidwesen aller anwesenden
Ohren und Nerven nicht zum kulinarischen Grundinventar des DB-Nachtzuges. Mutter
und Oma streiten parallel dazu erregt um ein mir nicht bekanntes issue. Oma gestikuliert dabei wild mit
ihren schwarzen Fingernägeln, von denen einer länger ist, als all die Meinigen
zusammen. Die Fetttröpfchen der zweiten Pizza, mit deren Einverleibung die
Schwarznagelige bereits begann, bevor wir den Hamburg Hauptbahnhof verlassen hatten,
fliegen dabei fröhlich durchs Abteil. Man ist mit der Qualität des Schlafwagens
nicht zufrieden, erklärt man mir dann. Ich nicke verständnisvoll. Zumindest die Pizza scheint zu schmecken.
Als dann der dickbäuchige Schaffner kurz nach Hamburg-Harburg
noch den Eingang verdunkelt und in dem ganzen Chaos malbiddekurzdiefaaaahrkarten sehen möchte, lege ich mich auf meiner
Pritsche zurück, schließe die Augen und freue mich, dass das Leben dank seiner ernüchternd-erfrischenden
Bipolarität zumindest eines nie versäumt: aufregend zu sein.
Du hast mein Herz erfreut... merzie.
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