Samstag, 27. September 2014

Die Kaelte geht, die Erinnerung bleibt

Thermalquellen im Geysierfeld Tatio
Morgens halb sieben in der Atacama Wueste bei ca -7 Grad und auf 4300m ueber NN. Man laedt uns ein, in der Naehe des ueberdimensionalgrossen Geysierfeldes Tatio ein Bad in einer heissen Quelle zu nehmen. Mir faellt die Fassung aus dem Gesicht: das wuerde bedeuten, mich bis auf angemessene Bademode auszukleiden, waehrend meine Fuesse schon ihre Zehen nicht mehr spueren, die Nase mein Gesicht verlassen hat und Gefuehl in den Fingerspitzen ein Luxusgut erscheint, das man sich nur in subtropischen Gebieten leisten kann. Ich bin zu sehr mit Zaehne klappern beschaeftigt, alsdass ich antworten koennte. Simón, unser Guide, lacht und sagt: "Aaaaah, qué va!", "ach was! El frio se va, la experiencia se queda! Die Kaelte wirst du vergessen, die Erinnerung aber bleibt." Nun, die Kaelte habe ich nicht vergessen, aber das Gefuehl bei Minusgeraden in der Atacamawueste bei Sonnenaufgang in einer Thermalquelle seine Fuesse auftauen zu spueren - das bleibt. Oh ja! Diese und mehr Geschichten aus unserem temporaeren Dasein als Wuestennomaden gibts hier.... 

Eine der wichtigsten Erkenntnisse der vergangenen Wochen ist wohl, dass ich absolut nichts ueber das Phaenomen "Wueste" weiss. "Sand", dachte ich, und "Duenen". War irgendwie jetzt so in der Praxis weit gefehlt. Es gibt naemlich auch Steine. Und Geroell. Und Felsen, Staub und heiss. Und Canyons und schneebedeckte Vulkane im Hintergrund der tristen Szenerie. Und es gibt Tiere und Menschen, die sich mit diesen Extremsituationen arrangiert haben. Und es gibt Oasen. Aber seht mal selber.


Parque Nacional Pan de Azúcar

Parque Nacional Pan de Azúcar, Blick nach links: Hallo Meer.

Parque Nacional Pan de Azúcar, Blick nach links: HalloWueste.

Geysiere Tatio, Naehe San Pedro de Atacma

Geysiere Tatio, Naehe San Pedro de Atacma
Die Geysiere de Tatio sind dabei nach dem Yellowstone Nationalpark das groeste Geysierfeld der Welt, staendig sind ueber 30 der heissen Fontaenen aktiv, insgesamt wurden an die 100 eruptierende Quellen gezaehlt. Wasser sickert in den Boden eines vulkanisch aktiven Gebietes ein, erhitzt sich an der heissen Magma und schiesst durch den entstehenden Druck nach oben, ist meine banal formulierte Erklaerung dafuer (wieder was gelernt!).
Die chilenische Regierung behauptet, man koennte den Energiebedarf des ganzen Landes an dem Geysierfeld decken. Ein diesbezueglicher Versuch ist allerdings mit Pauken und Trompeten misslungen (natuerlich hatte man wie immer die Kraft der Natur unterschaetzt) und man hofft heute, dass das Gebiet bald als Naturschutzgebiet erklaert werden kann und von solchen Gewaltakten in Zukunft verschont bleibt.

Fluss trifft Wuste (und ich frage mich: Wo kommt das Wasser da jetzt her?)

Valle der la Muerte (Todestal), Atacama Wuste. Wasser trifft Wueste (und ich weiss, wo es herkommt!).  Das Vallegehoert zu den Regionen der Welt bei der keiner Aufzeichnungen ueber den letzten Niederschlag vorliegen. Und so sieht es auch aus.
Valle de la Luna (Tal des Mondes)

Valle de la Luna bei Sonnenuntergang. Waere ich doch ein guter Fotograf. Aber lasst euch gesagt sein. Der Mund stand offen.

Teresus Olympa
Aus der chilenischen Atacamawueste ging es dann weiter nach Peru in den Canyon de Colca. Irgendwie hatten wir gedacht, hier wuerden wir auf Baeume und Leben treffen, das war aber auch wieder weit gefehlt und es ging weiter mit Geroell und grossen Brocken. Das triste Bild wird jedoch aufgelockert durch kleine Bergdoerfer in der Hochebene der Anden und die bunten Kleider der traditionellen Quechua Bewohnerinnen (die Maenner halten sich bzgl. der Farbenfrohheit eher zurueck. Dabei ist ja Pink jetzt eigentlich wieder im Komme?!)

Im Canyon kann man Condore mit einer Spannweite von ueber 2,50m kreisen sehen (jetzt weiss ich auch endlich woher das Wort majestaetisch kommt), Oasen am Grunde des Canyons erkunden, sich mit Einheimischen ueber das Leben in der Einsamkeit unterhalten und vor allem eines: Ruhe finden. 

Canyon del Colca, der tiefste Canyon der Welt (fuck you, Grand Canyon!).
...und seine Bewohner in der Provinzhauptstadt Cabanaconde 

 

Der Weg aus Arequipa, der naecht groesseren Stadt hat uns ueber eine Hoehenstrasse, halsbrecherische Kurven und den Verlust vieler Nerven nach Cabanaconde knapp fuenf Stunden gekostet. Das ist meines Erachtens eine Hausnummer, die einen dazu autorisiert das Dorf als "abgelegen" zu bezeichnen. David, ein 50 jaehriger Peruaner, den wir auf einer Wanderung in den Canyon getroffen haben lacht. Abgelegen? Was wir da wohl fuer eine Vorstellung von haetten. Es gaebe Doerfer, zu denen musste man mit dem Auto weitere 12 Stunden einplanen, zu Fuss seien es Tage. Da ist man abgelegen sagt er. Ich schlucke.
Anfang der 1960er Jahre habe er in Lima BWL studiert, damals kam es in Peru zu Aufstaenden, man haette versucht eine kommunistische Regierung zu erreichten. Mit dem ganzen Stress habe er nichts zu tun haben wollen, sagt er. Also ist er zurueck gegangen in den Canyon und raeumt heute taeglich Plastikflaschen von den Wanderwegen, die ruecksichtslose Touristen (bestimmt Franzosen oder so!) zuruecklassen. Von dem Geld schickt er seine zwei Toechter an die Uni. Ein Glueck, das nicht alle Kinder in Cabanaconde teilen. An der Gegenueberliegenden Seite des Canyons sollen Mienen errichtet werden, sagt David. "Aber das ist doch ein Nationalpark", sage ich, "ein Naturschutzgebiet." David schuettelt den Kopf. Da muss man nur den richtigen Leuten Geld bezahlen, sagt er und welche Chance sie denn schon haetten. Wenn man sich auflehnen wuerde, wuerden schnell mal 1-2 Leute aus dem Dorf verschwinden und das wolle man sich ersparen. Also muesse man einfach abwarten. 
Das Leben im Canyon sonst mag er, sagt er, als er in Jeans und abgelaufenen Schuhen neben uns (in Wanderschuhen mit Wanderstoecken, 2 Litern Wasser, Sonnencreme, Muesliriegeln ... also mit allem ausgestattet ausser Kondition), neben uns die Hoehenmeter in den Canyon hinabgeht. Ruhig ist es und die Leute sind gut. Einfach, aber gut. Man baut seine Kartoffeln an (es gibt in Peru mehr als 3000 Kartoffelsorten) und seinen Mais, verkauft ein bissschen was und finanziert sich so ein Leben. Es ist nur schade, dass es keine Bildung gibt sagt er. "Dabei gibt es viele schlaue Leute hier. Zum Beispiel der Grossvater von Vargas Llosa wohnt da unten in dem Dorf", sagt er stolz. 

Auf dem Rueckweg vom Boden des Canyons treffen wir noch einen aelteren Mann. Wir: schwitzend, keuchend. Hitze und Hoehe machen uns zu schaffen, fuer Abstieg und die Haelfte des Anstiegs hatten wir bis dahin 5 Stunden gerbraucht. Der Mann traegt eine Plastiktuete in der Hand. Er kommt von der anderen Seite des Canyons und musste in Cabanaconde etwas einkaufen. Das bedeutet, er ist bis zu diesem Zeitpunkt 700 Hoehenmeter von der anderen Seite des Canyons ins Tal gelaufen, 1100 Hoehenmeter auf der anderen Seite hoch, hat seinen Einkauf erledigt und schlendert jetzt durch die Geroellfelder zurueck. Man sei es ja nicht anders gewohnt, sagt er. Aber die Touristen ueberschaetzen sich oft. Dann muessten Einheimische die rotverschwitzten Gesichter mit Mauleseln wieder hoch bringen.... fassungslos verabschieden wir uns. Wir sollen wiederkommen, sagt er. "Ja", denke ich.

Maultiere als Lastentraeger

Action!
 Ich koennte noch so viele weitere Geschichten erzaehlen, aber das wuerde wohl den Rahmen sprengen. Fest steht aber wohl, dass der Canyon eine der bisher beeindruckensten landschaftlichen und auch kulturellen Erfahrungen war, die wir auf unserer Reise gemacht haben.


Auslaeufer des Canyons mit Incaterassen.
Aktiver Vulkan. Schoen Geysiere produzieren, mein Freund!!
Einwohner mit Alpacas. Da muss ich gestehen, letztens gab¨s zu Mittag Alpacafleisch...
 Gestern hatte ich Geburtstag. Zur Feier des Tages - und weil es der Zufall so wollte - ging es fuer uns zum Wahrzeichen Suedamerikas, Machu Picchu rief. Die Ruinen der alten Inka-Stadt ziehen jeden Tag 2500 Touristen aus aller Welt an. Klingt ekelhaft - ist es auch irgendwie. Und trotzdem hat der Ort eine besondere Magie, die einen den Trubel (und sein eigenes Alter!) um sich herum vollstaendig vergessen laesst.  Ein unvorstellbares Erlebnis ueber das ich keine weiteren Worte verlieren will, weil es einfach keine Worte dafuer gibt. Wohl aber das obligatorische Selfie und die Bilder, die wohl ohnehin jeder von euch schon 100.000 mal im Internet gesehen hat. 



Versuchen wir mal zusammenzufassen und zu rekapitulieren. Was haben wir auf der Reise gelernt? Wie ist es uns ergangen? Was bisher geschah...:
Auf ueber 3000 km richtung Norden haben wir einige der fuer mich bisher eindrucksvollsten Naturschauspiele und Kulissen der Welt geniessen koennen. Wir haben gelernt, wieviel Ruhe ein Leben ohne Smartphone geben kann, wie gross der Unterschied zwischen einem Leben in der Stadt und auf Land klafft. Wir haben Alpaca gegessen und Fruechte, deren Namen man nicht kennt. Wir haben Huehnerfuesse in Suppen gefunden, Meerschweinchen auf Grills gesehen und von einem jungen Peruaner gelernt, dass Wasser dick macht. Wir haben zum ersten mal gelernt, wie es ist bei 5000m Hoehe einzuatmen und keinen Sauerstoff in die Lungen zu bekommen (schlecht). Wir haben peruansiches Essen genossen und unter Durchfall gelitten ("always carry some toilet paper with you!"). Wir wurden von Haehnen, Esel I-A, Hundebellen und Sonnenlicht geweckt, anstatt von Verkehr und Wecker. Menschen erzaehlen uns ihre Geschichten und manche Menschen erzaehlen Geschichten. Wir hatten Nahtoderfahrungen mit Minibusfahrern und Teresa entwickelt sich zum knallharten Handelexperte auf Handwerkermaerkten. Wir treffen dicke Amerikaner, die sagen: "I don¨t eat peruvian food. It makes me sick", wir treffen Bayern, die sich aergern, dass ihre gehgeschlankten Wadeln ab 5500m schwaecher sein koennen, als die Schwabbelstampfer eines dicken Hollaenders und wir werden von Einheimischen gefragt, welches Englisch wir in Deutschland miteinander sprechen und warum wir noch nicht verheiratet sind. 
Die Liste der skurrilen Begegnungen ist lang, der Input unermesslich, die Erfahrungen unbezahlbar. 

Zum Schluss gibt es noch einige Bilder aus dem schoenen Cusco,  bevor es heute Abend weiter nach Bolivien geht. Dort wartet der Titicaca-See (hihi) auf uns. 

Cusco: Die Flagge der Indigenen vor alten Kolonialgebaeuden.

Bald sind Wahlen, es wird Wahlkampf gemacht. Die Leute aus dem Canyon sagen: es gewinnt, der, der die meisten Stimmen kaufen kann.

In Erinnerung an meine ehemalige Adresse in Trier. Das HIER ist die WAHRE Fleischstrasse.

Mama, gibts heute Schafskopf zum Mittagessen?

I love Koriander.

Cusco ab des Touristengetuemmels.


Tourismus: Wir sind die Eigentuemer der Kuh, aber andere melken sie.

Seid gegruesst! Beim naechsten Mal gibt´s wieder etwas mehr Schbass in den Backen!



Schbass in den Backen.











1 Kommentar:

  1. Lenita!!! Mein Herz ging auf beim lesen deiner wunderbar gewählten Worte...Danke, dass du deine tollen Erlebnisse und Fotos mit uns teilst!!! Ich bin schon gespannt auf deinen nächsten Post und hoffe, dass dich Bolivien genauso umhauen wird wie Peru und Chile! Un million de besos y que pases und tiempo increible!!!! Saludos a mi patria bolivia <3

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