Donnerstag, 9. Oktober 2014

Andean Heights

"Ja, also und in Europa? Also Deutschland? Waehlen die Leute da auch ihren Regierung? Oder ist da eine Diktatur?", fragte mich die 28 jaehrige Bolivianerin im Nachtbus, waehrend sie mit ihrer fuenf jaehrigen Tochter um den letzten Sitzplatz kaempft. Ich ueberlege kurz und weiss gar nicht, was ich antworten soll. Wahrheitsgemaess gebe ich an, dass unsere Verfassung die Bundesrepublik Deutschland als parlamentarische Demokratie bezeichnet. Von Angela Merkel sage ich erstmal nichts. 
Fuer mehr Kurioses und atemberaubende Bilder hier klicken... 
Zunaechst gibt es hier jetzt erstmal eine Uebersichtskarte, wo ich mich eigentlich rumtreibe. Denn wenn man sich in seiner Freizeit nicht gerade gezielt mit dem lateinamerikanischen Kontinent beschaeftigt, sind einem Orte wie Atacama, Uyuni und Cusco wohl doch eher fremd. Zwar hat die vergangene Fussballweltmeisterschaft (ueberall bekomme ich uebrigens Gluekwuensche zu "unserem" Sieg - ich bedanke mich artig, schliesslich habe ich im Schweisse meiner Fuesse dazu beigetragen!) es ermoeglicht, dass Bilder des Kontinents auch mal in der Tagesschau ausgestrahlt wurden oder Dokus im ZDF sich mit "Der neuen Welt" beschaeftigten. Insgesamt bleibt die Region doch eher ausserhalb des Fokus der breiten Medien und damit des gemeinen Deutschen. Wir gucken eher nach Europa. Gerne auch mal in den Nahen Osten und richtung China. Und nach Amerika, meinen damit aber die USA. 
Schade ist das eigentlich, wenn man bedenkt, dass Lateinamerika (mit Nordamerika) unserem europaeischen Wertesystem doch wohl immernoch am naechsten ist, fast alle Laender eine funktionierende Demokratie vorweisen koennen, wirtschaftlich auf dem aufsteigenden Ast sind und in punto Menschenrechte eine weitaus groessere Schnittmenge mit Europa aufweisen koennen als viele Laender (Suedost-)Asiens (soviel zu den politischen Mittwochsgedanken.) 
Waere doch schoen, wenn wir etwas mehr uebereinander lernen koennten. Auch dazu soll der Blog beitragen... 

Landschaftlich waren die letzten Tage (gefuehlten Wochen) wohl das Highlight der bisherigen Reise. Wie die Karte oben zeigt, fuehrte uns der Weg von Peru ueber den Titicaca See und die inoffizielle bolivianische Hauptstadt La Paz in den Sueden zum groessten Salzsee der Erde. Eine relativ weite Strecke, wenn man bedenkt, dass Langstreckenbusse haeufig ueber nicht geteerte Strassen rumpeln, den Busfahrern der Ruf hoffnungsloser Alkoholiker vorauseilt, Strassenblockaden an der Tagesordnung sind, die Regenzeit sandige Pisten zu schlumpigen Pampen aufweicht und Hoehenunterschiede von bis zu 2000 Metern unter all diesen Umstaenden auf serpentinenaehnlichen Strassen zurueckgelegt werden. Gottseidank bekreuzigen sich aber alle Fahrer, bevor der Ritt losgeht und Jesus ist unser staendiger Begleiter (siehe rechts). Sonst wuerden mich die Umstaende sicher beunruhigen. 

Aber auch das ist wohl Teil der Reise. Dass es nicht immer ganz so geschmiert laeuft wie gewohnt und dass besondere Situationen auch schonmal mehr Nerven als eine Bahnfahrt von Trier nach Mainz kosten koennen (ja, das geht!). 
Reise ist ja eben nicht nur schoene Fotos und spannende Geschichten, sondern auch Risiko, jede Menge Planung, Koordinierung, Unbequemlichkeiten und in meinem Fall Chaos (Hier links seht ihr einen besonders schoenen Fall von "Gerade fuenf Minuten im Hostelzimmer angekommen, Rucksack explodiert und: Kacke, wo ist jetzt der scheiss Zimmerschluessel wieder hin?") 
Hatte ja auch niemand behauptet, es wuerde hier Urlaub auf dem Ponyhof! Bleibt also einfach zu hoffen, dass Jesus mir und all den bolivianischen Busfahrern wohlgesonnen ist. Moege die Macht mit uns sein!

Gleich nach meinem letzten Blogeintrag verliessen wir also peruanisches Staatsgebiet und machten uns auf richtung Bolivien. Ueber den Grenzuebergang hatte ich im Vorhinein haarstraeubende Dinge gelesen und gehoert. Mit etwas weichen Knien checkten wir also aus Peru aus (stempel, stempel, zack bum), stapften 200m ueber eine staubige Strasse ueber die Grenze und stellten uns an einem notduerftig zusammengezimmerten Schuppen an (es lebe die Europaeische Union!), der versprach uns ein Visum fuer 30 Tage auszustellen. Deutsche bekommen das Visum umsonst, Franzosen und US-Amerikaner muessten je nach Laune des diensthabenden Polizisten zahlen - soweit so sympathisch. 
Im Grenzschuppen angekommen stellte der Uniformierte mit blutunterlaufenen Augen sowohl Teresa als auch mir ein befristetes Visum aus - ein mit uns reisender Israeli hatte weniger Glueck. Der diensthabende Beamte teilte ihm mit, er habe zwar alle Unterlagen, aber er koenne ihn nicht einreisen lassen. Ich, als Simultanuebersetzer Spanisch - Englisch, sprach dann fuer den Israeli, er habe aber alle noetigen Stempel und Unterlagen doch vorliegen. Der Polizist: "Ja, aber wir koennen heute keine Einreise erlauben." Der Israeli: "Ja, aber gestern sind doch auch sieben meiner Landsleute eingereist." Jetzt vermeidet der Polizist den Blickkontakt und sagt mir nur noch, ich solle dem Israeli mitteilen, gestern waere gestern gewesen. Und da haetten sie mal eine Ausnahme gemacht. Aber man koenne ja nicht jeden Tag Ausnahmen machen. Punkt. Der arme Israeli zurueck nach Peru, ich, konsterniert, weiter nach Bolivien. Hallo Willkuer. 

Der erste Bolivienstopp sollte fuer uns auf der Isla del Sol (Sonneninsel) im Titicaca-See sein. Der See ist etwa so gross wie Korsika, zaehlt zum Teil zu Peru, zum Teil zu Bolivien und wird gemeinhein als das hoechstgelegene kommerziell schiffbare Gewaesser bezeichnet. Ausserdem ist er von atemberaubender Schoenheit. Der Name kommt wohl aus der indigenen Sprache der Aymara und bedeutet soviel wie titi = grosse Katze und caca = grau (hat also demnach weder was mit sekundaeren Geschlechtsmerkmalen, noch mit Faekalien zu tun!) 
Die Bewohner der Sonneninsel leben hauptsaechlich vom Tourimus. Es gibt also eine gute Infrastruktur, genuegend Hostals, Restaurants und alle Annehmlichkeiten, die man sich fuer einen Urlaub so vorstellt. Lebensmittel, Baumaterialen und hoehenkranke Touristen (wir sind immerhin noch auf ueber 3000m) werden mit Maultieren die Berge hochstransportiert. So leben Backpacker, Indigene und Esel in einer bizarren Mischung aus Ursprung, Tradition, Souvenir-Ramsch, Pizzerien und Inselparadis zusammen. 
Ist man aber einmal von der Anlegestelle und den Touricafes entfernt und befindet sich auf einem Wanderweg ueber den Inselruecken, sind schnell alle Stressoren vergessen und es entsteht der Eindruck man wandere auf dem Dach der Welt ueber einen glitzernden Ozean. 






Nach ein paar Tagen abseits von Internet, Handynetz und Zivilisation, gaben wir uns die volle Droehnung und fuhren in die Millionenstadt La Paz. Regierungssitz, aber nicht Hauptstadt. Erdbeebenregion, Chaos-City, Getuemmel, Gewuehl, Dreck und Schmutz, hektisch, gefaehrlich und doch irgendwie so anziehend bunt. 
14 Supermaerkte fuer 1,5 Millionen Einwohner: die ganze Stadt scheint daher ein einziger grosser Freilicht-Markt zu sein. Da gibts nicht nur Obst und Gemuese zu kaufen, sondern auch Huehnerfuesse, Handys, Reifen, Werkzeuge und Zauberpulver! Hier zum Beispiel mein Lieblingsexemplar: "Komm zu mir Pulver!" Einfach den Staub in die Unterhose des Zielobjektes streuen und schon haste den Kerl an der Backe und wirst ihn nicht mehr los. Haette ich das mal frueher in meinem Leben gewusst, waere mir wohl einiger Liebeskummer erspart geblieben! 

Eine weitere Kuriositaet des Grossstadtmolochs ist das wohl weltweit einzige autonome Gefaengnis (zumindest ist mir eine derartige Absonderlichkeit sonst nicht bekannt). Mitten in der Stadt in einem ehemaligen Kloster gelegen, verwalten sich die Insassen selbst. Zahlen Miete, organisieren einen Vorsteher, fuehren Touristen durch ihre Zellen und betreiben kleinere Geschaefte. Sogar einige Kinder wohnen mit in der Anstalt. Als Nebenverdienst wird etwas Kokain produziert. Jeder weiss es, keiner macht was. Dem ist nichts hinzuzufuegen. Crazt World! 

Kommen wir zu den geordneteren Dingen des Lebens. Am Sonntag sind Wahlen in Bolivien. Als Favorit gilt der bisherige Praesident indigenen Ursprungs Evo Morales. Er hat viel fuer die Leute getan, sagen die Bolivianer. Reichtum verteilt, die Amis aus dem Land geekelt, Betriebe verstaatlicht, das Land aus der Rezession geholt und Stabilitaet geschaffen (Bolivien hatte in der Vergangenheit aehnliche viele Praesidenten wie Jahre der Unabhaengigkeit). "Er kuemmert sich direkt um uns", sagt die 28 jaehrige Bolivianerin aus dem Nachtbus, "wenn wir eine Strasse wollen, dann baut Evo eine. Vorher hat sich keiner gekuemmert. Aber das hier muss jetzt seine letzte Amtszeit werden. Dann hat er 15 Jahre regiert. Wenn er danach wiedergewaehlt wird, ist er ein Diktator und das ist nicht gut." 
Hm, abgesehen von der mir nicht ganz stichfest erscheinenden Argumentationskette, ist es tatsaechlich so, dass Evo eigentlich nicht mehr antreten duerfte. Zwei konsequtive Amtszeiten sind dem bolivianischen Praesident erlaubt, dann muss er eigentlich abdanken. Evo aber war geschickt. Er hat naemlich aus der "Republik Bolivien" vor nicht allzulanger Zeit den "Plurinationalen Staat Bolivien", also sozusagen ein neues Land gemacht (Die Idee des Plurinationalen Staates beruht auf der Tatsache, dass 60 Prozent der Bolivianer indigenen Ursprungs sind und sich in 40 (?) verschiedene Staemme unterteilen lassen.) Und in dem neuen Land hat er schliesslich noch keine zwei Amtszeiten hinter sich, der Fuchs! 
Auch die Flagge will Evo nach seiner Wiederwahl umgestalten lassen. Von dem bisherigen ROT - GELB -GRUEN (Rot wie das Blut, Gelb wie der Mineralreichtum, Gruen wie die Natur), soll eine regenbogenartige Variation geschaffen werden, die die indigene Vielfalt des Staates widerspiegelt. Man darf gespannt sein!

Von La Paz ging es weiter nach Uyuni, dem groessten Salzsee der Welt (und leider auch der neuen Heimat der Paris Dakar Rallye). Hier lasse ich Bilder sprechen, denn mir fehlten und fehlen die Worte.



Optische Taeuschung, hallo Panda!

Isla Incahuasi, mitten im ehemaligen Ozean gelegen (also im heutigen Salzsee), ein Meer an Kakteen.


Semiaktiver Vulkan an der chilenischen Grenze

Bilderbuchfoto. Ich schwoere, ich war wirklich da! 

Das weisse im Foto ist weder Eis, noch Salz, sondern ein besonderes Mineral, dessen deutschen Name ich leider nicht kenne, das aber wohl als Pestizid und zur Herstellung von Keramik eingesetzt wird (ok, das ueberpruefe ich nochmal).


Vicunas. Es gibt sie wirklich :-) Leben meistens in Herden von 7 zusammen. 1 Mann darf naemlich 6 Frauen haben. Bloede Polygamie!

Laguna Colorada


Kalt war es uebrigens auch auf 5000 Meter Hoehe ohne Strom und heisses Wasser. Tagsuber bis zu 30 Grad im Sonnenschein, morgens sind die Fluesse gefrohren. Da erzaehl mir mal noch EINER was von Zwiebelmuester, wenns ums ankleiden geht!



Schoen, oder? 

Eigentlich gibt es noch so viel mehr zu erzaehlen, ueber Evos Initiativen zur Bildung von Jugendlichen und seine Meinung zur Verhuetung, ueber legalisierte Kinderarbeit und das Leben als Backpacker (es muss endlich mal mit ein paar Vorurteilen aufgeraeumt werden!), aber mein Hirn ist schon ganz dusselig und der Blogeintrag schon so lang, dass ich immer die Meldung bekomme "DIESER EINTRAG KONNTE NICHT GESPEICHERT WERDEN!!!!". Deswegen setze ich an dieser Stelle einen Punkt und erzaehle wann anders weiter. Punkt: .

Lena

2 Kommentare:

  1. Welch ein Reichtumg an EIndrücken und Erlebnisssen. Und ich sitz unter meinem Dachfenster und darf ziemlich vorne dabei sein. Vielen Dank für den schönen Blog und die Zeit, die wunderschönen Bilder und das du deine Erfahrungen ein Stück weit mit uns teilst.

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  2. Paris ist ja auch schön, aber diese Bilder hauen mich um!

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