Freitag, 12. September 2014

Tourism is the devil

Meine Haende frieren ab.  Eigentlich waeren sie gerne an einem warmen Ofen oder zumindest  nur dem Herbst des kontinentaleuropaeischen Klimas ausgesetzt. Stattdessen schauen die steifen Fingerspitzen unter vielen Schichten waermender Kleidung hervor und erzeugen nach meinem Willen tapfern klackernde Geraeusche im hiesigen Internetcafe. “Ok”, denkt man jetzt vielleicht, “Internetcafe – da kann es doch bestimmt nicht so kalt sein.” Aber Internetcafe ist nicht ueberall gleich Internetcafe. 18 km vor der argentinischen Grenze in einem kleinen Bergdorf in den chilenischen Anden ist “Internetcafe” eine Garage mit zwei Computern, einem 56kB Modem und einer Temperatur von gefuehlten drei Grad. Wie es dazu kommt, dass ich hier sitze und warum ich als Tourist der Inkarnation des Teufels gleichkomme, erfahrt ihr im folgenden Blog. Bienvenidos a Chile!

Meine Finger und ich frieren also gerade in oben abgebildetem Internetcafe im Valle del Elqui, 700km noerdlich von Santiago de Chile, der Hauptstadt des 4000km schmalen Andenlandes am anderen Ende der Welt (insofern man denn davon sprechen mag, dass die Erde ein Anfang und ein Ende hat und man so egozentrisch sein moechte Europa als den Anfang zu definieren). Im Gegensatz zum saftigen und regenreichen Sueden mit seinen Bergseen und Regenwaeldern, ist der Norden Chiles mit der Atacamawueste eine der trockensten Regionen der Welt. 
Hallo Pisco!

Wir haben uns also fuer zwei Naechte in einem kleinen Hostel im Ort Pisco de Elqui einquartiert. Der Ort erbte seinen Namen von einer ansaessigen 120 Jahren alten Pisco Distillerie, die in verhaeltnismaessig grossem Ausmass den beruehmten chilenisch/peruanischen Traubenschnaps herstellt. "Organico!", betonen die Besitzer und in reinster Handarbeit - von der Ernte der Trauben bis zur Abfuellung der Flaschen. Man schmeckt es - *hicks!

Ausser Pisco gibt es hier auch nicht mehr allzu viel. Vielleicht noch Berge. Und Sonne. Eine handvoll Kunsthandwerker und Hippies, die vor einem Leben mit 40 Stunden Woche an diesen stillen Ort geflohen sind.






Was treibt den Reisenden also in eine derart kalte, einsame und eher lebensfeindlich wirkende Region des ohnehin schon duenn besiedelten Landes? Nun, bei uns war es, wie so oft im Leben, wohl auch die ewige Suche nach dem "Anderen". Dem, was man gerade nicht hat. Denn als wir die Entscheidung trafen an diesen Ort zu kommen befanden wir uns im hektischen Herzen der bunten Hafenstadt Valparaiso:














Wer mehr oder weniger aufmerksam das Tagesgeschehen verfolgt, hat sicher mitgekriegt, dass es vor einigen Wochen im Stadtkern Valparaisos gebrannt hat. Das ist so tragisch, weil die Stadt durch ihre zahlreichen Strassenkunstwerke, den eigenwilligen Baustil und das sympathisch bunte Chaos zum Unesco Weltkulturerbe ernannt wurde und den Nachrichten zufolge ganze Stadtteile von den Flammen zerstoert wurden. Wir selbst haben davon nichts sehen koennen, sondern konnten uns ungetruebt von der Vielfaeltigkeit reizueberfluten lassen. In so einem inspirierenden Ambiente habe sogar ich das Gefuehl, aus mir koennte noch eine grosse Kuenstlerin werden. Vielleicht eher als Bundeskanzlerin (Teresa meint, ich wuerde in dem Amt ohnehin zuviele Kompromisse eingehen, also lasse ich das vielleicht sowieso besser.)

Bereits bei der Einreise hatten Beamte uns prophezeit wir wuerden Valparaiso lieben. "Alle Europaer lieben es!". Und ich fragte mich mal wieder warum wohl. Was lieben ich an diesem unorganisierten Chaos? Ich kam zu folgender Erkenntnis: wenn das aeussere Chaos groesser ist, als mein Inneres fuehle ich mich schlicht wohler. Oder anders herum gesagt, die deutsche Ordnung macht mir Glauben, ich beherrsche mein inneres Chaos nicht. Um es noch einen Schritt weiter zu denken: aeussere Imperfektion und Behelfsmaessigkeit lassen eher eigene Schwaechen zu, als ein hundertzweiprozentig korrektes Ambiente. Deswegen werde ich mich wohl mein Leben lang auch in Hostels wohler fuehlen als in auf hochglanz polierten 18Sternehotels. Es sei denn, ich beherrsche irgendwann mein inneres Chaos. Dann zieh ich mit Sack und Pack ins naechste Hilton. 

Kommen wir zurueck zu den Europaern und Valparaiso. Da sie Valparaiso so lieben, ist die Stadt auch voll mit deutschen, franzoesischen und englischen Touristen. Zusammen mit Neu Seelaendern und Australiern gibt es dann einen bunten Mix an Backpackern, die ganze Viertel mit ihrer Eigenwilligkeit bevoelkern. Und der Chilene? Der Chilene ist sauer. "Tourism is the devil", konnten wir an einer Haeuserwand lesen. "Only locals", an einer Autogarage. "Tourismus macht frei", hatte ich vor einigen Monaten in Barcelona als Imitation des bekannten KZ-Schriftzuges gelesen. 
Und wie kalt laesst mich das? Gar nicht natuerlich. Zwar habe ich Verstaednis fuer die Situation der Einheimischen (ich hatte auch irgendwann die Lust aufgegeben, mich vor Massen an ostasiatischen Touristen vor dem Karl-Marx Haus zu quaelen), aber es stimmt einen doch nachdenklich, inwieweit Reisen tatsaechlich zur Verstaendigung von Menschen unterschiedlicher Erdteile beitraegt. Das dachte ich naemlich immer. "Aber du glaubst doch echt nicht, dass du deswegen reist, oder?", hatte Teresa mich gefragt, "es ist doch hauptsaechlich der pure Egoismus, der einen dazu treibt." Nicht ist haerter als die Wahrheit. 
Treibt Tourismus die Menschen also sogar eher auseinander? Weil die Tourimassen Einheimisches zerstoeren? Und die Abhaengigkeit vom Tourismus, denn Geld bringt er allemal ein, eine Art Hass-Liebe erzeugt? Sollte ich vielleicht wieder nach Hause fliegen? Und dann zum Urlaub nach Bayern? Obwohl, da wird man auch als Saupreiss bezeichnet. Also ueberall wo man dann hinfaehrt ist man Fremder oder Touri und zerstoert "Einheimisches"? Ich will nicht der Devil sein. Aber der Egoismus treibt mich dazu. Ich moechte Bergdoefer sehen, Meer riechen, mit Chilenen ueber Patagonien und die Einsamkeit sprechen und das Gefuehl haben, das Einzige von dem ich Abhaengig bin, sei mein Rucksack. Und zur Not auch mit Hoernern auf dem Kopf! Wie furchtbar. Lena is the devil.

Zum Abschluss noch ein paar froehliche Bilder um all die Nachdenklichkeit aufzulockern. 
Lasst euch gesagt sein: es geht uns gut, wir geniessen die Reise, den Weg als Ziel, chilenischen Wein, den unglaublichen Sternenhimmel und Inputinputinput. So fuehlt es sich an, wenn man frei ist, denke ich. 








Stay tuned! BESOS 

1 Kommentar:

  1. Ich bin begeistert, neidisch und Fernweh bekomm ich auch gerade :) Ich starte heute noch mein "Into the Wild" Abenteuer ! Lasst es euch gut gehn Mädels!!

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