Donnerstag, 27. November 2014

Die ewige Suche nach dem Glueck (Teil 2)


Nicht nur Reisende suchen nach dem Glueck. Auch die anderen. Die Nicht-Reisenden. Also Menschen ohne Rucksack oder Koffer? Dass kein eigenes Wort dafuer in der deutschen Sprache existiert, koennte bedeuten, dass es auch eben jenen Zustand des Nicht-Reisens nicht gibt. Im Umkehrschluss ist also das ganze Leben eine Reise. Wusste ich´s doch! Jeder reist dabei verschieden. Mit viel oder wenig Gepaeck, in Luxushotels oder bescheidenen Absteigen, in Einzelzimmern oder grossen Schlafsaelen. Und am Ende? Am Ende sind sie alle auf der Suche nach dem Glueck.




Marciano (siehe hierzu auch Teil 1) haette bildlich gesprochen als Reisender einen kleinen Koffer, vielleicht auch nur einen Plastikbeutel. Darin waeren ein Hut, eine Bombilla zum Mate Tee trinken, zwei Unterhemden und Zigaretten. 
Als eines von vierzehn Geschwistern in der Provinz Chubut Argentiniens geboren, hatte er als einer der wenigen seiner Familie das Glueck eine Schule besuchen zu duerfen: 1 1/2 Stunden Wegstrecke mit dem Pferd am morgen, vier Stunden Unterricht und 1 1/2 Stunden Rueckweg mit dem Pferd am Mittag. Danach Farmarbeit bis zum Abend. Nach vier Jahren war seine Ausbildung beendet und es blieb die Farmarbeit - fuer den Rest des Lebens.

Heute sind die Haelfte seiner Geschwister gestorben, es gibt aber noch sechs lebende Brueder und eine eigene Tochter, die er an einem schoenen Sonntag mit dem Bus in der 40km entfernten Stadt besuchen faehrt. Viel weiter hat sich Marciano in seinem bisherigen Leben nicht von zu Hause entfernt. Dementsprechend weit ist sein Horizont. Europa, Deutschland, Euro, Dollar, Internet, Ebola, Ukrainekonflikt? Abstrakte Begriffe, fast Fremdwoerter fuer ihn. Ist ja auch egal, fuer das Leben auf der Farm hat all das keine Relevanz. Er arbeitet sechs Tage die Woche (2 1/2 Stunden Mittagspause plus siesta!), krank wird er nicht und wenn "na ja, dann gehe ich halt etwas im Wald spazieren". Marciano hat Lachfalten. Er kocht jeden Mittag. Am liebsten Fleisch, aber egal was - immer gut, das ist die Hauptsache, lacht er. Er ist zufrieden, nur der Ruecken nervt ihn manchmal etwas.

Karl* ist etwa in Marcianos Alter und ich habe ihn durch einen Zufall und diverse Verbindungen waehrend meiner Reise kennengelernt. Seine Reisekoffer wuerden durch einige Angestellte getragen, haetten schicke Anzuege, jede Menge Geld und die Visitenkarten vieler wichtiger Menschen auf der Welt zum Inhalt. Er ist in Deutschland aufgewachsen, ebenfalls auf einem Bauernhof. Er wollte aber mehr als die Farm und das einfache Leben und das hat er sich erarbeitet. 

Heute ist Karl Lehrstuhlinhaber an einer rennomierten deutschen Universitaet, speiste mit Angela Merkel am gleichen Tisch, mischt in Instituten, Betrieben und der EU-Kommission mit. Besitzt Immobilien auf der ganzen Welt, lebte in Asien und Afrika. Sein Privatvermoegen belaeuft sich auf mehrere Millonen Euro. Mit ein paar Millionen hat er sich nun Land in Chile gekauft und baut im grossen Stil einen landwirtschaftlichen Betrieb auf. Mehreren tausend Hecktar Land und hunderte von Tiere. Mir bleibt bei all den Geschichten der Atem stehen. Das ist wohl das, was ich mit meinem bisherigen Wertesystem als "erfolgreich" bezeichnen wuerde. Oder?

Unser erstes Treffen fand beim Mittagessen in einem Restaurant statt. Es gab Aperitiv und Austern, Fisch und Fleisch, abartig guten Wein. Er rueckte mir den Stuhl zurecht und oeffnet die Tuer fuer mich, die ganze Etikette (ich dabei wohl gemerkt in Wanderstiefeln, kaputter Leggins, abgerissener Jeans und Fleecepulli). Spaeter habe ich Karl auf seiner Farm besucht. Ob ich Hunger haette, fragt er. Ja, warum nicht, sage ich. Kochen kann er nicht, sagt er dann, der Kuehlschrank ist auch leer, die Familie sei zur Zeit in Europa (Kontakt zu seinen Kindern habe er seit Jahren nicht mehr, glaube aber, sie seien relativ erfolgreich und haetten schon eigene Kinder). Die Huette wirkt leer, unaufgeraeumt, im Bad platzt ein Medikamentenschrank aus allen Naehten, in der Kueche stapelt sich schmutziges Geschirr. Karl frittiert Eier und Wuerste in einer Pfanne, ruelpst beim Essen und trinkt den Wein jetzt weniger fuer den Genuss, als vielmehr um "die Flasche noch leerzumachen". 

Seit vielen Jahren habe ihn niemand mehr besucht, verraet der alte Mann vom Wein oder der Einsamkeit befluegelt. Und ueberhaupt, wir sollten uns duzen. Das faellt ihm und mir aber schwer. Mir, weil es mir einfach komisch vorkommt, ihm weil er die Menschen, die er in seinem Leben geduzt hat, an einer Hand abzaehlen kann.

Und ich? Lena? Was ist in meinem Koffer? Nix. Weil ich mich nie entscheiden kann, was ich denn nun einpacken moechte. Ob wichtige Visitenkarten oder Unterhemden und Mate Bombilla. Was ich aber weiss, ist, dass ich viele Menschen duzen moechte. Ich moechte nicht den Kontakt zu meiner Familie verlieren und niemals sagen muessen, dass mich seit fuenf Jahren niemand mehr besucht hat. Ich moechte auf meiner Reise verlernen. Verlernen, was mir meine Gesellschaft und meine Kindheit suggeriert hat, was "erfolgreich" ist. Denn das eine "erfolgreich" gibt es nicht.
Was ich bisher fuer mich gelernt habe: Erfolg sollte definiert sein durch Lachfalten, einen Sack voller schoener Erinnerungen, einen tiefen Schlaf und die Ruhe anderen Menschen zuhoeren zu koennen. Erfolgreich sollte definiert sein durch die Gewissheit Menschen zu haben, die man liebt. Erfolg koennte auch sein, dass ich Freunde habe, die mit mir am anderen Ende der Welt telefonieren, mich sogar hier besuchen oder mit mir reisen. Oder dass ich einen Freund habe, der geduldigst auf meine Ruekkehr wartet oder oder... 

Genug nachgedacht, genug Worte geschrieben. Zum Schluss gibts noch ein paar Bilder von den letzten Wochen meiner erfolgreichen Reise durch das wunderschoene Patagonien. Worte sind da ohnehin ueberfluessig.

Tag 0 einer Wanderung durch den Nationalpark Torres de Paine, Suedchile. Noch ist Kraft zum posen da!

Das Ziel der Wanderung des 1. Tages. Der erste Gletscher meines Lebens. Ich springe im Dreieck vor Freude, die Eismasse laesst das voellig kalt. Gleichgueltig schieben sich die schweren Eisbloecke ueber das Wasser.

Das goldene Gras, die blauen Seen, die Schneebedeckten Berge. Hallo Patagonien.

Aua-Fuesse in der Mittagspause. Beliebte Snacks zwischendurch: Snickers, Erdnuesse und Schokolade. Mmmmh!

Chrissi kaempft sich beim Aufstieg durch den boeigen Wind. Innerhalb einer Stunde kann sich das Wetter von Schneesturm zu T-Shirt Temperaturen aendern.

Glueck oder Erschoepfung?

Ohne Worte.

Lena und die Torres!!!

Chrissi und Lena und die Torres. Gluecklich am Ziel des 4. Tages - fehlt nur noch: Der Abstieg.

Perito Moreno, Patagonien, Argentinien. Der weltweit einzige noch wachsende Gletscher. Auch voellig unbeeindruckt von unserer Ankunft.

Ab jetzt gab es nur noch Tagestouren, genug Gepaeck durch die Pampa geschleppt. Hier im Nationalpark Los Glaciares, Argentinien. Im Hintergrund der Fitz Roy.


Fitz Roy 2. Welcome to paradise.

Wenn die Fuesse dann irgendwann zu weh tun zum Weitergehen schwingt man sich einfach auf den Drahtesel. Jetzt schon fast bei sommerlichen Temperaturen in Barioloche, Argentinien.
Bariloche, Argentinien

Lena gluecklich, Bariloche, Argentinien.

Und nach all der Plagerei, German Kuchen in der Region der Seen, Chile. 


... und Curanto (Muschel, Fleisch, Kartoffel Gemeng) auf der Insel Chiloe, Chile...

...und das Standart Backpacker Essen ausser Nudeln und Tomatensauce. Bier und Sandwich mit erstklassiger Aussicht. Pazifik, Vulkane und Anden. 

Besos und mucho amor,
Lena



2 Kommentare:

  1. Leni, was für Farben, was für Worte! Schönes Donnerstagabendentertainment für die grauen Zellen zwischen weißen Wänden.
    Uuuuuh, und bald mehr davon in reallife! Freu mich schon!
    Grüßle aus Ö.

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  2. Ich bekomme eine dicke Gänsehaut vor Glück, wenn ich die Fotos sehe und an die Zeit zurück denke...diese Farben, diese Natur... <3 C aus B

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