Samstag, 1. November 2014

Die ewige Suche nach dem Glueck (Teil 1)

Eines, das alle Reisenden verbindet, ist die Suche. Die einen suchen Liebe, die anderen versuchen Liebe zu vergessen, manche suchen einen Ort zum bleiben und manche versuchen vor etwas wegzulaufen. Auf dem ein oder anderen weg moechten aber alle nur eines: gluecklich sein. Doch was ist das eigentlich, dieses Glueck? Familie, Freunde und eine erfuellende Arbeit? Ein Haufen Kohle, eine Landschaft, ein Ort, eine Person? Fragen ueber Fragen.
Es ist offensichtlich, dass ich in den letzten Wochen zuviel Zeit zum nachdenken hatte, sonst beschaeftigt man sich vermutlich nicht mit diesen Dingen. Aber ich habe diese Reise ja nicht zuletzt angetreten um etwas ueber mich herauszufinden. Vielleicht auch mich selber zu finden, wie es huebsch geschminkte Schauspielerinnen in amerikanischen Romantic Comedys immer ausdruecken. Aber ich bleibe realistisch. Ich will mich ja nicht gleich ganz finden, das waere wohl etwas ambitioniert fuer eine kurze Zeitspanne von drei Monaten. Aber ein kleines Stueck waere doch schoen. So ein Stueck wie zum Beispiel zu wissen, was es ist, das einen gluecklich macht.

Zeit zum Nachdenken hatte ich, die Arbeit auf der Farm in den vergangenen Wochen ist nicht gerade etwas, das mich zu geistigen Hoechstleistungen gezwungen haette. Zwischen Spargel ernten, Rote Beete saehen, Feuerholz umschichten und dem Kompostieren tonnenweise pflanzlichen Abfalls, lies die koerperliche Erschoepfung parallel eine mentale Achterbahn zu. Ein nicht wirklich stabiles Handynetz, ganz zu schweigen von Internet konnten der Suche nach mir selbst nicht im Wege stehen. Ebensowenig wie der einzige zur Verfuegung stehende Film, eine Ramschkomoedie mit Jack Black oder die anderen Personen auf der Farm: ein 6 jaehriger, tyrannenhafter Junge mit seiner teilweise missmutigen Mama und ein 65 Jaehriger argentinischer Gaucho, den ich trotz seiner kaum augebildeten Sprachfaehigkeiten ("ich hatte da so ne Attacke vor zwanzig Jahren!") verstehen und moegen lernte. 

Wenig Ablenkung und inspirierendes Ambiente also. 

Morgenstimmung am Rio Negro, gegenueber der Nationalpark Los Alerces, Chubut, Argentinien

Das angenehme an Blumen ist ja auch: sie quatschen einem nicht staendig ins Ohr.
Glueck also. Wann war ich denn ueberhaupt gluecklich, fragte ich mich, kopfueber im Herbstlaub mit dem Raechen in der Hand (neu gelerntes spanisches Agrarvokabular in den knapp 20 Tagen Farmarbeit: ca. 200). Bzw woran merkt man ueberhaupt, das man gluecklich ist? Fuer mich sind das diese Momente, in denen man so erfuellt ist von etwas, dass man meint platzen zu muessen. Ich fuehle das in der Magengegend., bei anderen ist es vielleicht das, was man Herz nennt oder wegen mir auch die vorletzte Rippe von oben. Und mir fiel in dem Augenblick des Gedankens auf, dass ich gerade sehr gluecklich war. 

Sei es die Beschaeftigung mit essentiellen Dingen ("mir ist kalt, wo ist das Feuerholz?", "ich habe Hunger, was kann man im Garten ernten?"), die koerperliche Arbeit, die trotz Rueckenschmerzen und Muskelkater irgendwie den Vorteil hat, dass man am Ende des Tages tatsaechlich sieht, was man erreicht hat oder die unerschuetterliche Ruhe, die nur mal gelegentlich durch Hundebellen, das Rauschen vom Wind in den schlanken Birken und das Gluckern im See unterbrochen wird - all das macht mich gluecklich. 

Froh ueber meine Erkenntnis stelle ich also fest, dass es Orte sind, die mich gluecklich machen. Die Farm, verschiedenen erklommene Berggipfel, kuehle Luft in nebligen Araukaienwaeldern in den chilenischen Anden. Schroffe Felsen und die ewigen Wellen der Ozeane, die sich an ihnen brechen. Ja, das macht gluecklich. Scheiss also auf die Suche nach einer anstaendigen Arbeitsstelle, es ist die Umgebung die stimmen muss. Was bringt einem ein prestigetraechtiger und gutbezahlter Job, wenn man die Haelfte seines Lebens in einem quadratischen Raum eingeschlossen unter der Neonlampe sitzt?

Ich beschliesse also kurzerhand dazubleiben. Ich zimmer mir hier eine Huette zusammen und mache ein Hostel auf, dann koennen mich auch meine Liebsten besuchen.... oooh... die Liebsten, denke ich. Da war ja noch was. Mama, Papa, Familie und der Hund. Die Maedels, die Jungs und mein Max. Die wollen ja bestimmt nicht alle mitkommen ans andere Ende der Welt. Ach gut, man findet ja auch neue Freunde, versuche ich den Gedanken. 

Mein neuer Freund Marciano. Wir reden ueber das Wetter, den Garten, das Rauchen, die Pferde und dann wieder ueber das Wetter. Und Deutschland... wo ist das eigentlich? Also richtung Fluss oder richtung Berge?

Mein neuer Freund fuer einen Nachmittag. Wir reden ueber nichts. Laufen stillschweigend nebeneinander her. Das einzig unangenehme an ihm, ist sein eigenartiger Geruch nach dem Baden.

Meine neue Freundin. "Ich reite mal eben Bier holen."
Dann faellt mir ein, wie vertraut man sich mit langjaehrigen Freunden gehen lassen kann, wie wichtig mir Gespraeche sind, die ueber das Wetter hinausgehen, wie gut es tut, zu wissen, dass man eine Familie hat auf die man sich verlassen kann und wie schoen es ist morgens in den Armen eines gutriechenden Mannes aufzuwachen.

Es ist also der richtige Ort MIT den richtigen Menschen! 

Wenige Tage spaeter soll die Reise durch das wunderschoene Patagonien weitergehen und ich moechte mir ein Busticket kaufen. Ich gehe also zur Bank und moechte Geld abheben. Auf der Bank angekommen, dann die erschuetternde Erkenntnis: ist gar nix mit Geld abheben. Kein Auslaender kann seit Wochen in grossen Teilen des Landes Geld abheben, gibt man mir sachlich Auskunft. Um Himmels willen, denke ich! Ich sitze auf der Strasse! Ohne Essen, ohne Dach ueber dem Kopf ohne ... ohne alles! Zwar an einem wunderschoenen Ort, aber dann war ich auch nicht mehr gluecklich und wollte, dass Mama und Papa um die Ecke kommen und mir sagen, was zu tun ist und mein starker Freund mich mal in den Arm nimmt. War aber nicht so - also war ich erstmal totungluecklich. Der Schneeregen, der zu diesem Zeitpunkt fiel, hat es nicht besser gemacht.*

Also sind es jetzt schon der Ort, die Menschen, die finanzielle Sicherheit, die stimmen muessen, damit ich gluecklich bin. Puh. Und dann musste ich nochmal ehrlich zu mein sein und mir eingestehen, dass das mit der Farmarbeit zwar fuer eine gewisse Periode hoechstromantisch war und den back-to-the-roots Hippie in mir enorm befriedigt hat aber dann - ! Wenn ich mir vorstelle... fuer immer Unkraut zupfen, dass dann wieder nachwaechst? Kann es ja auch nicht sein. Und ich komme wieder an den Punkt, dass ich auch irgendwie eine Arbeit will, die mir Spass macht.

Fassen wir zusammen. Ich will: alles. Am liebstens: jetzt. Geht das? Nein. Und so ist es wohl immer mit diesem Leben. Manchmal hat man das Eine und eben das Andere nicht. Die grosse Kunst besteht wohl darin, damit gluecklich zu sein, was einen gerade umgibt. Unkraut, Berggipfel, der vertraute Duft von zu Hause, Fruehstueck mit Freunden oder nur man selbst. So hat alles im Leben seine Zeit und es gibt nicht die eine Loesung sondern nur Zwischenloesungen. Der Weg ist das Ziel, immer mehr verstehe ich, was damit gemeint ist. 

Jetzt gerade bin ich auf jeden Fall gluecklich. Zwar weit weg von allen Menschen, die mir wichtig sind, dafuer aber naeher bei mir selber. Und an einem ziemlich schoenen Ort.

Die Reise geht weiter. (Und der Fruehling wird zum Winter. Die Jahreszeiten haben das auch nicht verstanden, dass es fuer alles eine Zeit gibt.)

Suerte sagt man in Argentinien zum Abschied. "Glueck". 
Wie das wohl gemeint ist? 

Suerte, ihr Lieben. 
Bis bald

*Es besteht uebrigens keine Grund zur Sorge: Am Ende findet man immer Menschen, die einem weiterhelfen. Das einzig aergerliche: ohne anstaendigen Cash in der Tasche kann man seine Sorgen nichtmal wegtrinken!

1 Kommentar:

  1. Mein Gott, Lena. Allein die Bilder. Wie schön!
    Wir begleiten dich auf deinem Weg wie Kletten. Können kein Cashersatz sein, vertrauen aber in deinen Instinkt, deine freundliche zugewandte Art, die dir einen Weg aus der finanziell chaotischen Klemme hilft. Außerdem bin ich mir sicher, das dir dein Bauchgefühl,. von dem du reichlich hast, sagt, wem du vertrauen kannst.
    Schön den Blog zu lesen und deine Eindrücke, Erfahrungen mit dir und deiner Situation zu teilen. Ich sitze hier unter meinem Dachfenster und grüße dích aus dem wunderschönen herbstlichen Westerwald....

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