*Inspiration, die: von lat. inspiratio 'Beseelung', 'Einhauchen'.
Ich trinke derzeit viel Rotwein in den Abendstunden. Das ist
so, seitdem ich das Konzert einer chilenischen Künstlerin besucht habe, die
befreit ins Mirko schrie: „Den nächsten Song habt ihr einer von Rotwein inspirierten
Nacht zu verdanken!!!“ Und der Song war so gut! Also beschloss ich, auch mehr
Rotwein zu trinken. Wegen der Inspiration.
Kürzlich befand ich mich also abends plötzlich in einer Bar.
Ein junger Mann im weißen Hemd - vermutlich Student - er sah zumindest aus, als
hätte er das Leben noch vor sich - sah mich fragend an. Blitzschnell erkannte
ich die Situation und folgerte, dass man meine Getränkebestellung aufnehmen
wollte. Im Hintergrund eine schwarze Tafel mit weißen Buchstaben Unsere Weine: Rioja. Aha. „Diese
Spanier, da kann man nie etwas mit falsch machen“, denke ich zuversichtlich und sagte laut:„Ich nehme da euren spanischen Rotwein“. „Rotwein, ja. Ööh. “, guckt der Junge. „Pff.. also jetzt einen dicken, oder…?“ Ich: „DICK?“ Er: „Ja, also dick oder süß…oder … da kenne ich mich mit Weinen nicht
so aus.“
Natürlich kennt er sich da nicht so aus, der blasse Bub im
weißen Kellnerhemd. Weil er sich eben mit anderen Dingen auskennt, als kluger
Kopf der hiesigen Universität. Institut of Technology! Hier
werden keine hedonistischen Genussmenschen gefördert, hier arbeitet man an der
Ausbildung der nächsten naturwissenschaftlichen Elite! Nur verständlich, dass
man sich da nicht mit Belanglosigkeiten wie etwaigen Sinnesfreuden aufhalten kann.
Bitte nicht falsch verstehen. Ich bin ja froh, dass es
Ingenieure und so gibt, die unsere Welt besser machen. Geräte entwickeln und
das Universum erkunden und herausfinden, wie sich beweisen lässt, was schon
immer da gewesen ist. Und dann später, wenn die ersten grauen Haare da sind,
erklären sie (endlich!) jungen Frauen die Welt und steuern mit einer selbstgebauten Drohne
eine patentierte Multifunktionsrose auf den Balkon der XX-Chromosom-Trägerin. Naturwissenschaftler
können nämlich so einiges. Da ist die Erklärung des Pudels Kern ein
Kinkerlitzchen. So etwas wie Rotwein fällt da glatt in die Kategorie „Banalitäten“.
Ich seufze. Diese Ingenieure. Also al carajo mit dem Spanier. „Ein schwarzwälder Tannenzäpfle-Bier,
bitte.“ Der Bub lächelt selig.
Szenenwechsel. Immer noch die gleiche Stadt. Lauer Sommerabend,
Schlossgarten, ich in einem Haufen mir mehr oder minder bekannter Menschen.
Ausgelassenes Gequassel in Englisch, Deutsch, Spanisch. Lucas, der Argentinier,
fächelt seinem tiefroten Malbec schonmal un poco de aire zu. Eine sagenhafte
Idee, denn wenn der Vino vor dem ersten Schluck schon einmal im Glas herumgeschwappt
ist, schmeckt er irgendwie nach mehr – ich würde vielleicht sagen „voller“. Der
Student im weißen Hemd würde vermutlich sagen „dicker!“. Der Kenner spricht im Jargon
von atmen. Der Wein atmet. Macht der Mensch ja auch. Man kennt man ja: Je mehr man atmet, umso dicker wird man.
Ich proste also Lucas zu, nippe an meinem Glas und bin
entzückt. Entweder das ist ein ganz schön guter Wein oder der hatte schon verdammt
viel geatmet! Da schießt der indische Technologie-Student zu meiner Rechten los: „Also
chemisch ist das ja… geht das ja gar nicht. In dem Moment, wo der Wein mit dem
Sauerstoff in der Luft reagiert, hat der ganze Oxidationsprozess schon
stattgefunden. Da verändert sich dann danach an der Geschmacksstruktur gar nichts mehr im Glas.“ Adé
Inspiration, es wäre so schön mit dir gewesen.
Ich schaue ihn an. Seine unschuldigen Augenbrauen verraten mir, dass er
wohl eine Art der Zustimmung erwartet. Also sage ich: „doch.“ Und er freudig:
„Nein, denn wenn die Sauerstoffmoleküle an der Oberfläche (…)“ Hier schalte ich
ab. Ich nippe gedankenverloren an dem argentinischen Roten und warte ärgerlich darauf,
dass jetzt endliche diese verdammte Inspiration zurückkommt! Stattdessen verheddern sich erklärende Wortfetzen
von Fachvokabular in meinem Gehörgang. „….Oxidation…! … Reaktion….!“
Inspiration. Leidenschaft. Alles dahin. Manchmal denke ich,
die spinnen, diese Ingenieure hier. Hat denn in deren schlauen Köpfen kein
Molekül Genusssinn und Passion mehr Platz? Nicht zum aushalten. Ich brauche
mehr dicken Rotwein.
Abadal 3,9
AntwortenLöschenwas ist das für 1 komische benotung?
AntwortenLöschenvon mir gibt es 1 glatte eins. darauf ein traubensaft