Sonntag, 28. August 2016

Die Inspiration*

*Inspiration, die: von lat. inspiratio 'Beseelung', 'Einhauchen'.

Ich trinke derzeit viel Rotwein in den Abendstunden. Das ist so, seitdem ich das Konzert einer chilenischen Künstlerin besucht habe, die befreit ins Mirko schrie: „Den nächsten Song habt ihr einer von Rotwein inspirierten Nacht zu verdanken!!!“ Und der Song war so gut! Also beschloss ich, auch mehr Rotwein zu trinken. Wegen der Inspiration.

Kürzlich befand ich mich also abends plötzlich in einer Bar. Ein junger Mann im weißen Hemd - vermutlich Student - er sah zumindest aus, als hätte er das Leben noch vor sich - sah mich fragend an. Blitzschnell erkannte ich die Situation und folgerte, dass man meine Getränkebestellung aufnehmen wollte. Im Hintergrund eine schwarze Tafel mit weißen Buchstaben Unsere Weine: Rioja. Aha. „Diese Spanier, da kann man nie etwas mit falsch machen“, denke ich zuversichtlich und sagte laut:„Ich nehme da euren spanischen Rotwein“. „Rotwein, ja. Ööh. “, guckt der Junge. „Pff.. also jetzt einen dicken, oder…?“ Ich: „DICK?“ Er: „Ja, also dick oder süß…oder … da kenne ich mich mit Weinen nicht so aus.“

Natürlich kennt er sich da nicht so aus, der blasse Bub im weißen Kellnerhemd. Weil er sich eben mit anderen Dingen auskennt, als kluger Kopf der hiesigen Universität. Institut of Technology! Hier werden keine hedonistischen Genussmenschen gefördert, hier arbeitet man an der Ausbildung der nächsten naturwissenschaftlichen Elite! Nur verständlich, dass man sich da nicht mit Belanglosigkeiten wie etwaigen Sinnesfreuden aufhalten kann.

Bitte nicht falsch verstehen. Ich bin ja froh, dass es Ingenieure und so gibt, die unsere Welt besser machen. Geräte entwickeln und das Universum erkunden und herausfinden, wie sich beweisen lässt, was schon immer da gewesen ist. Und dann später, wenn die ersten grauen Haare da sind, erklären sie  (endlich!) jungen Frauen die Welt und steuern mit einer selbstgebauten Drohne eine patentierte Multifunktionsrose auf den Balkon der XX-Chromosom-Trägerin. Naturwissenschaftler können nämlich so einiges. Da ist die Erklärung des Pudels Kern ein Kinkerlitzchen. So etwas wie Rotwein fällt da glatt in die Kategorie „Banalitäten“. Ich seufze. Diese Ingenieure. Also al carajo mit dem Spanier. „Ein schwarzwälder Tannenzäpfle-Bier, bitte.“ Der Bub lächelt selig.

Szenenwechsel. Immer noch die gleiche Stadt. Lauer Sommerabend, Schlossgarten, ich in einem Haufen mir mehr oder minder bekannter Menschen. Ausgelassenes Gequassel in Englisch, Deutsch, Spanisch. Lucas, der Argentinier, fächelt seinem tiefroten Malbec schonmal un poco de aire zu. Eine sagenhafte Idee, denn wenn der Vino vor dem ersten Schluck schon einmal im Glas herumgeschwappt ist, schmeckt er irgendwie nach mehr – ich würde vielleicht sagen „voller“. Der Student im weißen Hemd würde vermutlich sagen „dicker!“. Der Kenner spricht im Jargon von atmen. Der Wein atmet. Macht der Mensch ja auch. Man kennt man ja: Je mehr man atmet, umso dicker wird man. 

Ich proste also Lucas zu, nippe an meinem Glas und bin entzückt. Entweder das ist ein ganz schön guter Wein oder der hatte schon verdammt viel geatmet! Da schießt der indische Technologie-Student zu meiner Rechten los: „Also chemisch ist das ja… geht das ja gar nicht. In dem Moment, wo der Wein mit dem Sauerstoff in der Luft reagiert, hat der ganze Oxidationsprozess schon stattgefunden. Da verändert sich dann danach an der Geschmacksstruktur gar nichts mehr im Glas.“ Adé Inspiration, es wäre so schön mit dir gewesen. 

Ich schaue ihn an. Seine unschuldigen Augenbrauen verraten mir, dass er wohl eine Art der Zustimmung erwartet. Also sage ich: „doch.“ Und er freudig: „Nein, denn wenn die Sauerstoffmoleküle an der Oberfläche (…)“ Hier schalte ich ab. Ich nippe gedankenverloren an dem argentinischen Roten und warte ärgerlich darauf, dass jetzt endliche diese verdammte Inspiration zurückkommt! Stattdessen verheddern sich erklärende Wortfetzen von Fachvokabular in meinem Gehörgang. „….Oxidation…! … Reaktion….!“


Inspiration. Leidenschaft. Alles dahin. Manchmal denke ich, die spinnen, diese Ingenieure hier. Hat denn in deren schlauen Köpfen kein Molekül Genusssinn und Passion mehr Platz? Nicht zum aushalten. Ich brauche mehr dicken Rotwein. 

2 Kommentare:

  1. was ist das für 1 komische benotung?

    von mir gibt es 1 glatte eins. darauf ein traubensaft

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